Tatort „Lakritz“ im rechtsmedizinischen und forensischen Faktencheck

Tatort: Lakritz

Bild: WDR/Willi Weber

Wie jeden Morgen bereitet die Hausangestellte das Frühstück für den Münsteraner Marktmeister Hannes Wagner, dessen Vertrag gerade um fünf Jahre verlängert wurde. Dabei entdeckt sie die Leiche ihres Chefs. Schnell gerät eine Dose mit Lakritz ins Visier, das mit Gift versetzt ist. Bei Boerne weckt die Süßigkeit Erinnerungen an seine erste Liebe. Und so vermischen sich beide Zeitebenen miteinander und neue Einzelheiten zu einem alten Fall kommen ans Licht, der wurde damals als Suizid eingestuft. Boerne bleibt skeptisch.

Für pathoblog.de unterziehen die Sachverständigen Dr. Nicole von Wurmb-Schwark und Dr. Thorsten Schwark den Münsteraner Tatort um vergiftete Lakritze einem Faktencheck.

Prof. Boerne misst zu allererst die Körperkerntemperatur beim Toten. Wie kann er daraus den ungefähren Todeszeitraum bestimmen?
In der Regel sehr gut. Jeder Körper beginnt nach Todeseintritt damit, seine Temperatur der Außentemperatur anzugleichen, also in der Regel auszukühlen. Dies folgt einer bestimmten Regelmäßigkeit, die der Rechtsmediziner natürlich kennt, ebenso wie einige weitere Faktoren, die diese Auskühlung beeinflussen können, wie z. B. Gewicht der Leiche oder Kleidung.

Boerne und Haller riechen an der Leiche und vermuten anhand des Geruchs Vergiftung durch Zyankali und Haller sofort Suizid. Wie kommen sie darauf?
Möglicherweise, weil vielen Leuten der Geruch auffallen könnte und sie dann die Lakritz nicht mehr essen würden? Uns fallen hier auch sofort Suizide ein. Vielleicht ist dies einfach in Hallers Erfahrungsschatz häufiger vorgekommen? Aber der Rückschluss ist so eigentlich nicht wirklich überzeugend.

Das Labor findet sowohl in Proben vom Boden, als auch in den Lakritzresten aus dem Müll und in der Maschine Zyankali. Wie lange lässt sich Zyankali nachweisen und müssten dann nicht auch alle anderen Lakritze mit Zyankali versetzt sein?
Zyanid lässt sich tatsächlich sehr lange nachweisen, allerdings wohl nicht immer so leicht, wie es im Tatort den Anschein macht und schon gar nicht durch die beiden den Fall bearbeitenden Rechtsmediziner. Mal eben auf der Straße nachtesten oder direkt im Sektionssaal eine GC-Untersuchung machen (Gas-Chromatographie) ist doch etwas seltsam und unlogisch … um freundlich zu bleiben. Normalerweise kommen hier hochspezialisierte forensische Toxikologen zum Einsatz.

Was war Top an dieser Tatort-Folge aus forensischer/gerichtsmedizinischer Sicht?
Top waren die richtigen Kurz-Infos zu den Totenflecken. Diese sind blau-livide bei „normalen“ Leichen. Sehen sie stattdessen hellrot (der Rechtsmediziner sagt gerne kirschrot dazu) aus, sollte dies ein Alarmzeichen sein. Hellrot kann auf eine Vergiftung durch Kohlenmonoxid oder Cyanid hindeuten oder, wie Prof. Boerne ganz richtig erklärte, die Leiche liegt im Kalten und die Person ist z. B. erfroren.
Für denjenigen, der die Leiche findet, kann das also sehr wichtig sein. Liegt eine Leiche mit kirschroten Totenflecken in einem geschlossenen Raum, könnte es also sein, dass sich derjenigen, der die Leiche findet, kurze Zeit später daneben legt, weil der ganze Raum voller Kohlenmonoxid ist.

Was war der größte forensische/gerichtsmedizinische Flop an dieser Tatort-Folge?
Auch die Totenflecken. Wenn eine Person stirbt, entstehen nach kürzester Zeit Totenflecken, die der Schwerkraft folgen; das Blut sackt nach unten, um es einfach auszudrücken. Erhängt sich jemand, sammelt sich also das Blut in den Füßen und den Händen; diese werden dadurch sehr dunkel. Die Mutter aber hatte diese Totenflecken nicht und damit hätte dem Kripobeamten klar sein müssen, dass sie sich nicht erhängt hat, oder aber, dass sie noch keine 20 Minuten in dem Seil hing. Findet man aber keine sicheren Zeichen des Todes, müsste man eine leblose Person eigentlich reanimieren, bzw. Erste-Hilfe-Maßnahmen (Rettungswagen etc.) organisieren.
Später sagt Boerne, er hätte als Junge diese hellroten Flecken gesehen. Wenn dem so wäre, hätte sie auch der Beamte sehen sollen und möglicherweise wären sie dann „nicht lagegerecht“ gewesen. Dass hießt, sie wären eher an der Rückseite der Leiche aufgetreten, weil die Frau längere Zeit gelegen hat, nachdem sie tot war.

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Privatdozentin Dr. Nicole von Wurmb-Schwark ist geprüfte Fachabstammungsgutachterin der Deutschen Gesellschaft für Abstammungsbegutachtung (DGAB) und Spurensachverständige. Der Rechtsmediziner Privatdozent Dr. Thorsten Schwark ist rechtsmedizinischer Berater.

Das Team des Tatorts aus Münster

2002 ging das ungleiche Paar aus Rechtsmediziner Prof. Boerne und Hauptkommissar Thiel zum ersten Mal auf Verbrecherjagd. Seitdem gehören die Krimis, die in der westfälischen Universitätsstadt spielen, zu den beliebtesten und quotenträchtigsten der Reihe. Boerne, der geniale aber ziemlich eingebildete Professor, und der aufbrausend herzliche Thiel könnten kaum gegensätzlicher sein. Als Nebenfigur mischt Kommissar Thiels Alt-68er-Vater Herbert regelmäßig die Ermittlungen und seinen Sohn auf. Der freiberufliche Taxifahrer nimmt dabei gern auch die Verfolgung vermeintlicher Täter auf. Das starke Ensemble komplettieren drei Frauen. Silke Haller, Boernes engste Mitarbeiterin, weiß dessen Witze über sie als versteckte Anerkennung zu deuten. Die patente Nadeshda Krusenstern ergänzt Thiel als Assistentin. Und die kettenrauchende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm legt Thiel mit Reibeisenstimme gern Knüppel in den Weg.