Krebs aus der Sicht Betroffener

Mit einer Krebsdiagnose beginnt für die Betroffenen eine Zeit der Unsicherheiten und Ängste, in der sie eine spezielle Unterstützung benötigen.

„Der Befund ist leider bösartig“. Mario (Name geändert) ist 40 Jahre alt, als er diesen Satz hört. Er ist verheiratet, Vater von zwei Kindern, steht mitten im Berufsleben – und hat Lungenkrebs. „Und was jetzt? Wie geht es jetzt weiter?“ An seine ersten Sätze nach der Aussage des Arztes erinnert sich Mario noch genau. Alles andere erlebt er wie im Film, wie er sagt.

Seit Wochen schon hat Mario Husten, fühlt sich abgeschlagen, hat immer wieder Fieber. Der Hausarzt geht zunächst von einem grippalen Infekt aus. Schließlich bringen die Kinder immer neue Viren aus der Kita mit. Als der Husten auch nach Wochen noch da ist, Mario immer weniger Antrieb hat für Job und Familie, überweist der Hausarzt ihn in die Radiologie. Eine Computertomographie wird durchgeführt. Es wird geröntgt, Mario muss zur Bronchoskopie. Proben werden entnommen. Der histologische Befund gibt schließlich Auskunft über das Tumorstadium und darüber, inwieweit sich der Tumor bereits ausgebreitet hat. Eine Zeit, in der Mario einfach nur funktioniert, sein Kopf wie leergefegt ist, wie er sagt. Ängste und Sorgen lässt er nicht zu. Fragen anderer weicht er aus, macht sich eher Gedanken um die anderen als um sich. Er ist gefasst, fragt sachlich nach. Erst, als die Operation geschafft ist, bricht er zusammen. Halt geben ihm seine Familie, seine Freunde. „Irgendwie bin ich so durch diese Zeit gekommen und ich wusste sofort, dass ich kämpfen werde.“

Mithilfe molekularer Diagnostik wird für Mario, der an einem nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom ist, eine personalisierte Krebstherapie erarbeitet. Dazu wird sein Gewebe nach Treibermutationen untersucht. Diese Genveränderungen werden dann in der Therapie gezielt medikamentös blockiert. Eine weitere Ausbreitung des Tumors kann so verhindert werden. Dabei ist die Behandlung immer individuell an die spezifischen Mutationen ausgerichtet. Bei Mario wird mithilfe der molekularen Diagnostik eine EGFR-Mutation entdeckt. Aufgrund dieser kommt es zu einem unkontrollierten Wachstum der Tumorzellen. Mario erhält in der Folge Tabletten, die den EGF-Rezeptor blockieren.

Erhöhtes Suizidrisiko bei Krebspatienten

Nicht immer schaffen es Krebspatienten, die Diagnose anzunehmen und den Kampf gegen die Erkrankung aufzunehmen, wie etwa eine Studie von Wissenschaftlern um Michal Heinrich von der Universität Regensburg zeigt. Sie haben herausgefunden, dass Menschen mit einer Krebserkrankung ein um 50 Prozent erhöhtes Suizidrisiko haben. Dies gilt insbesondere bei schlechter Prognose oder in den ersten sechs Monaten nach der Diagnose. Waren Krebspatienten verheiratet, war ihr Risiko jedoch geringer als bei Menschen, die alleinstehend waren. Das soziale Netz spielt also eine bedeutende Rolle dafür, wie Menschen mit einer Krebsdiagnose umgehen und wie sie sie verkraften.

Auch für Mario. Seine Familie begleitet ihn, spricht Mut zu und ist für ihn da. Gemeinsam mit seiner Frau nimmt er die Termine beim Onkologen wahr, bespricht sich anschließend mit ihr. Die Kinder werden in der Zeit von den Großeltern betreut. „Wie ein Uhrwerk. Ein Rad greift in das andere“, beschreibt Mario die Situation später. Aktuell geht es ihm gut.

Neben der Krebstherapie benötigt er auch anderweitig professionelle Unterstützung. Denn die Krebserkrankung weckt in ihm Existenzängste. Er schläft schlecht, hat Angst vor dem, wie es weitergeht.

Er nimmt Hilfe durch eine Psychoonkologin in Anspruch. Die Kosten hierfür trägt seine Krankenkasse. Die Psychoonkologin hilft ihm bei der Erarbeitung von Bewältigungsstrategien, um mit seinen Sorgen und Ängsten besser umgehen zu können.

Höhere Lebensqualität bei Cancer Survivors

Doch wie geht es nach der Krebserkrankung für Betroffene weiter? Dann, wenn der Tumor etwa operativ entfernt werden konnte? Patienten, bei denen es innerhalb von fünf Jahren nach der Diagnose nicht zu einem Rückfall kommt, gelten als geheilt. Doch mit einer Krebserkrankung verhält es sich für die Betroffenen meist anders als mit einem Beinbruch, der, wenn der Knochen wieder zusammengewachsen ist, der Vergangenheit angehört. Schätzungen zufolge leben in Deutschland 4,5 Millionen sogenannte Cancer Survivors. Also Menschen, die den Krebs überlebt haben. Da Krebs immer früher diagnostiziert wird und in der Folge immer mehr Krebspatienten geheilt werden können, steigt die Zahl der Cancer Survivors stetig. Verstarben vor 1980 noch mehr als zwei Drittel der Krebspatienten infolge ihrer Erkrankung, sind die Prognosen heute deutlich besser.

Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie es den Krebsüberlebenden geht. Dabei stand das Thema Lebensqualität im Fokus. Deutlich wurde: Langzeitüberlebende schätzen ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität sogar besser ein als Gleichaltrige, die nie an Krebs erkrankt waren.

Allerdings sieht sich einer Studie von Wissenschaftlern um Melissa S Y Thong vom Deutschen Krebsforschungszentrum zufolge ein großer Teil der Cancer Survivors auch fünf bis 16 Jahre nach der Diagnose noch als Krebspatientin oder Krebspatient. Die Erkrankung wirkt sich also langfristig auf das Leben der Betroffenen aus. Und sie macht sich auch in gesundheitlicher Hinsicht immer wieder bemerkbar.

So zeigt etwa eine Studie von US-Wissenschaftlern des St. Jude Children’s Research Hospital in Memphis, dass Erwachsene, die als Kinder an Krebs erkrankt waren, noch im Erwachsenenalter an Schmerzen sowie psychosozialen und neurokognitiven Einschränkungen leiden. Die Befragten waren als Kinder etwa an Leukämie erkrankt (36 Prozent). Bei einem großen Teil waren eine Chemo- oder Strahlentherapie durchgeführt worden.

Einer Studie des DKFZ Heidelberg zufolge wird jede dritte Brustkrebspatientin langfristig von Depressionen heimgesucht und damit signifikant häufiger als Frauen, die zuvor nicht an einem Mammakarzinom erkrankt waren. So waren von den an Brustkrebs erkrankten Frauen 30,4 Prozent von Depressionen betroffen. Bei Frauen, die nicht an Brustkrebs erkrankt waren, waren es 23,8 Prozent.
Für Betroffene gilt es darum, einen individuellen Umgang mit der Erkrankung zu finden. Vielfach können Selbsthilfegruppen dabei helfen, das Erlebte, die damit verbundenen Ängste und Belastungen zu verarbeiten. Insbesondere der Austausch mit anderen Menschen, die Ähnliches erlebt haben, hilft Cancer Survivors vielfach.

Palliativmedizin als Unterstützung bis zum Lebensende

Doch nicht immer ist die Prognose gut. Kann die Krankheit nicht geheilt werden, spielt die Palliativmedizin eine wichtige Rolle. Sie hat das Ziel, den Betroffenen bis zu ihrem Tod eine möglichst gute Lebensqualität zu bieten. Dazu gehört etwa die Linderung von Beschwerden und Schmerzen. Palliativteams arbeiten interdisziplinär. So wird die Versorgung der Patientinnen durch Ärztinnen, Physiotherapeuten, Psychologinnen, Pflegekräfte sowie vielfach auch Sozialarbeiterinnen und -arbeiter gewährleistet. Ambulante Hospizdienste oder Palliativpflegedienste ermöglichen es der erkrankten Person, zu Hause zu sein und sich dort versorgen zu lassen. Doch auch in den Kliniken gibt es Palliativstationen, wenn Krebskranke aus unterschiedlichen Gründen nicht nach Hause entlassen werden können, etwa, wenn die Angehörigen die Pflege der erkrankten Person nicht übernehmen können.