Lotse, Bindeglied, Behandler – Was bedeutet Krebs aus der Sicht von Allgemeinmedizinern?

Geht es um die Rolle des Allgemeinmediziners, wenn ein Patient an Krebs erkrankt ist, wird vielfach der Begriff des Lotsen genannt. Der Allgemeinmediziner kennt den Betroffenen, seine Krankengeschichte und seine Lebensumstände häufig bereits seit vielen Jahren.

Seit 15 Jahren kommt der Patient in die Praxis. Der Arzt kennt ihn gut, weiß viel über die Enkel, den letzten Urlaub des Patienten. Die Grippeimpfung hat der Patient schon vor einigen Wochen durchführen lassen. Nun quält ihn seit Wochen ein hartnäckiger Husten, der einfach nicht besser wird. Dazu kommen Abgeschlagenheit und Nachtschweiß. Nach der Computertomographie und der Bronchoskopie, bei der Gewebeproben aus der Lunge entnommen wurden, die durch den Pathologen histologisch untersucht wurden, bestätigt sich der Verdacht: Der Patient ist an Lungenkrebs erkrankt.

Die Vermittlung der Diagnose

Ein besonders sensibles Thema ist die Übermittlung einer Krebsdiagnose. Denn diese reißt den Betroffenen nicht selten sprichwörtlich den Boden unter den Füßen weg. Auch für den Allgemeinmediziner bringt die Situation Herausforderungen mit sich, bei denen es einiges zu beachten gilt. „Besonders wichtig ist es, einen Gesprächstermin mit dem Patienten zu vereinbaren, an dem man sich als Arzt Zeit nimmt“, erklärt Dr. Ulf Zitterbart, niedergelassener Hausarzt in Kranichfeld/Thüringen und Vorstandsmitglied des Deutschen Hausärzteverbandes. Geht er in ein solches Gespräch, informiert er immer auch sein Personal, lässt Telefonate in der Zeit der Unterhaltung nicht durchstellen und sorgt dafür, dass er während des Gespräches nicht unter zeitlichen Druck gerät.

„Hoffnung nehmen ist keine Option“

Bevor das Gespräch mit dem Patienten jedoch überhaupt beginnt, steht für den Allgemeinmediziner eine intensive Vorbereitung an. „Ich lese mir vor dem Gespräch immer noch einmal die Akte des Patienten gründlich durch“, erklärt Zitterbart.

Darüber hinaus erfordert die Kommunikation mit den Patienten einen Spagat zwischen dem medizinischen Wissen um Heilungsmöglichkeiten, den Erfolgschancen einer Therapie und dem Wunsch, den Betroffenen Mut zuzusprechen und sie für Behandlungen und Therapien zu stärken und ihre Hoffnung nicht zu zerstören. „Es ist zum Glück selten geworden, dass wir einem Patienten sagen müssen, dass man gar nichts mehr machen kann. Oft wird Krebs bereits im frühen Stadium entdeckt“, sagt Zitterbart und fügt hinzu: „Es gibt natürlich Krebsarten, bei denen man als Arzt direkt weiß, dass die Lebenserwartung begrenzt ist. Aber dem Patienten dann die Hoffnung zu nehmen, ist keine Option. Hoffnung muss immer da sein.“

Dass das Diagnosegespräch nicht nur für den Patienten und seine Angehörigen zu Hilflosigkeit und Unsicherheit führt, berichten viele Allgemeinmediziner. Auch für sie sind Gespräche, in denen einem Patienten erklärt werden muss, dass er Krebs hat, häufig mit enormen Herausforderungen verbunden. Umso wichtiger ist es aus ärztlicher Sicht, sich in die Betroffenen hineinzuversetzen und immer zu überlegen: „Wie würde ich mich fühlen? Was würde ich mir wünschen, wenn ich eine solche Diagnose erhalten würde?“ Und auch die Frage „Wie viel möchte der Patient wissen?“ spielt eine wichtige Rolle. „Die Zeiten, in denen der Patient in Unwissenheit gelassen wurde, sind zum Glück vorbei. Der informierte Patient möchte wissen, wie es um ihn steht“, erklärt Ulf Zitterbart. Auch in die Frage, welche Therapieoptionen für den Patienten die besten sind, wird der Erkrankte selbstverständlich einbezogen. Von Shared Decision Making sprechen die Mediziner hier – dem gemeinsamen Entscheiden über Behandlungswege und Therapien. Hier spielt auch die Pathologie eine wichtige Rolle. Denn durch die präzise Tumordiagnose, die aufgrund der histologischen und molekularpathologischen Untersuchungen möglich wird, kann sie dazu beitragen, die für den jeweiligen Patienten beste Therapie zu finden.
Bereits während der Ausbildung ist der Erwerb entsprechender Kompetenzen für angehende Ärzte ein fester Bestandteil. „Die medizinische Psychologie ist ein wichtiger Baustein im Studium“, erklärt Zitterbart.

Nach der Diagnose und der Entscheidung darüber, welche Therapie die beste für den jeweiligen Patienten ist, übernimmt der Allgemeinmediziner vielfach die Rolle des Lotsen. „Wir helfen, die wohnortnahe Versorgung sicherzustellen“, sagt Zitterbart. Er ist das Bindeglied zwischen dem Patienten und der onkologischen Fachpraxis oder -klinik. Denn der Allgemeinmediziner ist vielfach näher dran am Patienten, kennt ihn seit geraumer Zeit. Dieses Vertrauensverhältnis bildet die Basis der Arbeit mit Patienten, die eine Krebsdiagnose erhalten haben.

Dass der Hausarzt im Fall einer Krebserkrankung auch darüber hinaus eine bedeutende Rolle spielt, haben Wissenschaftler der Universität Kalifornien in San Diego nun in einer Studie belegt. Sie fanden heraus, dass Patienten, die mindestens einmal im Jahr ihren Hausarzt aufsuchen, im Falle einer Krebserkrankung eine bessere Prognose haben. So reduziert sich das krebsbedingte Sterberisiko bei einigen Krebserkrankungen um bis zu 49 Prozent, wenn Patienten vor ihrer Diagnose einmal jährlich ihren Hausarzt aufgesucht haben. Die Wissenschaftler unterstreichen daher die Rolle der Allgemeinmediziner für die Krebsprävention.

(Qiao EM et al.JAMA Netw Open. 2022 Nov 1;5(11):e2242048. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.42048. PMID: 36374497.)

Auch, wenn sich die Zahlen aufgrund der unterschiedlichen Gesundheitssysteme sicherlich nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen lassen, zeigt sich doch, dass die Primärversorgung unerlässlich ist, wenn es darum geht, die Krebsfrüherkennung zu fördern.

Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Fachdisziplinen

Von seinen Kollegen aus der Onkologie erhält der Allgemeinmediziner alle Arztbriefe, damit er stets über Ergebnisse und Therapieerfolge informiert ist. Auch möglicherweise durch Onkologen verschriebene Medikamente müssen dem Allgemeinmediziner bekannt sein, um Wechselwirkungen mit Arzneimitteln, die er selbst verschreibt, zu verhindern. „Hin und wieder werde ich auch zu den Tumorkonferenzen eingeladen“, erklärt Ulf Zitterbart. Auf diese Weise ist er stets informiert und kann seinen Patienten auf dem schwierigen Weg, der mit der Diagnose Krebs beginnt, begleiten – als Lotse, Bindeglied und Behandler.