Leichenbeschauer in Laos – Dr. Siri ermittelt

ausschnitt-dr-siri-coverColin Cotterill gelang mit seinem Helden Dr. Siri Paiboun 2004 ein echter Coup. Erstmals wurde das kleine südostasiatische Land Laos Schauplatz eines internationalen Krimis. Zwölf Jahre und neun Romane später haben sich die Bücher um den einzigen amtlichen Leichenbeschauer von Laos fest in den Bestsellerlisten der Krimiliteratur angesiedelt.

Der erste Band der Reihe „Dr. Siri und seine Toten“ beginnt ungewöhnlich. Im Prolog gerät der Abwurf von drei Leichen über dem Nam-Ngum-Stausee in Laos zu einem makabren sportlichen Wettbewerb. Der Leser darf mitfiebern, welche Leiche schneller die Wasseroberfläche durchbricht: „Tran der Ältere lag in Führung. Er war der Schwerste der drei.“ Ein Prolog mit einer erst später enthüllten Bedeutung gehört zu den typische Stilmitteln von Krimis. Colin Cotterill nutzt ihn geschickt, um Stil und Atmosphäre des Buches einzuführen. Mit sarkastischem Humor ausgestattet, werfen der Autor und seine Figuren einen Blick auf den real existierenden Kommunismus südostasiatischer Prägung.

Und so ganz nebenbei lernt das Publikum ein Land kennen, dessen Namen und Lage vielen kaum geläufig ist. Im Interview erzählt Cotterill 2008: „Es kommt oft vor, dass mich die Leute fragen, wo in Afrika Laos liegt.“ Das kleine Land mit seinen gerade 6,5 Millionen Einwohnern steht bis heute im Schatten seiner bekannteren Nachbarn Vietnam und Thailand.

Dr. Siri – Gerichtsmediziner wider Willen

Im Dezember 1975 – die kommunistischen Truppen haben gerade die Macht übernommen – sieht Dr. Siri Paiboun, 72 Jahre alt, Feld-Chirurg und Allgemeinmediziner, seinem Ruhestand entgegen. Pech nur, dass er noch bei bester Gesundheit ist. Das Politbüro hat andere Pläne mit ihm. Von dem hohen Parteifunktionär Kham erfährt er, dass die Machthaber ihn zum amtlichen Leichenbeschauer der Republik ernennen wollen. Weder sein Sträuben noch der Hinweis, er habe sein „Lebtag noch keine Obduktion durchgeführt“, helfen ihm. Widerstrebend tritt Dr. Siri mit einem französischen Pathologiebuch von 1948 und einem Notenständer als Halterung ausgestattet seinen Job an. Während er die Leichen öffnet, blättert er sich durch die Grundregeln der Autopsie. Als eine der ersten liegt ausgerechnet Frau Nitnoy, die Ehefrau des Genossen Kham, auf dem Seziertisch. Kahm besteht darauf, seine Frau sei eines natürlichen Todes gestorben. Doch der Leichenbeschauer vermutet einen Giftmord und ermittelt weiter, ohne locker zu lassen.

„Dr. Siri kommt nicht nur wider Willen zu seinem Job. Wir tauchen auch in eine gerichtsmedizinische Welt ein, die einerseits noch in den Anfängen liegt“, sagt Prof. Dr. Katharina Tiemann. „Andererseits muss er improvisieren, denn ihm fehlt durch die Mangelwirtschaft für die zu dieser Zeit bereits entwickelten Methoden oft das entsprechende Material. Das sorgt für einen spannenden Konflikt.“

Ein Haufen skurriler, liebenswerter Charaktere

Der in London geborene Autor Colin Cotterill kennt sich in Südostasien bestens aus. Vier Jahre verbrachte er in Laos, seit mehreren Jahren lebt er im Nachbarland Thailand. Mit Dr. Siri gelang es ihm, einen der ungewöhnlichsten Ermittler auf dem Krimi-Markt zu erschaffen. Der Arzt glaubt zwar, nur der Kommunismus verschaffe dem Menschen Glück und Zufriedenheit, niemals aber könne der Mensch ihn auch erfolgreich umsetzen. Sein übergroßes Ego steht ihm im Weg. Mit den Obrigkeiten liegt Siri ständig über Kreuz. Er weigert sich anstelle seiner geliebten Sandalen die von der Partei vorgegebenen Einheitsplastikschuhe zu tragen. Neben Miss Marple gehört er wohl zu den ältesten Ermittlern der Literatur. Cotterill wählte das hohe Alter bewusst, wie er im Interview verrät: „Ich wollte eine Hauptfigur, die die über-70-Jährigen repräsentiert.“

Zum Portfolio skurriler, charmant-witziger Figuren gehört vor allem Siris Team: Krankenschwester Dtui geht ihm am Seziertisch ebenso zur Hand wie sein Assistent Herr Gueng. Sie fühlt sich zu Höherem berufen und liest in freien Minuten thailändische Klatschmagazine. Vom Chef dafür leicht spöttisch kritisiert, antwortet sie lakonisch: „Ich vergewissere mich lediglich der Widerwärtigkeit des Klassenfeindes, Genosse.“ Herr Geung lebt mit einer leichten Ausprägung des Down-Syndroms, verfügt über einen exzellenten Geruchssinn und ein unglaubliches Gedächtnis. Siris bester Freund Civilai arbeitet als hochrangiger Genosse im Parteibüro, Chemielehrerin Oum hilft ihm bei toxikologischen Tests und Frau Lah verwöhnt ihn mit den besten Baguettes in Laos Hauptstadt Vientiane.

Im Sommer erscheint der neunte Roman

Etwas gewöhnungsbedürftig für den versierten Krimi-Fan dürfte eine andere Gabe des Arztes sein. Seit seiner Kindheit begegnen ihm im Traum Tote. Die sprechen zwar nicht, geben ihm aber den ein oder anderen Hinweis zum Aufklären der Fälle. Die Geisterbegegnungen passen erstaunlich gut zur Atmosphäre und den lebenden Charakteren.

Colin Cotterills laotischer Held ist inzwischen zwar fast 80, an einen Ruhestand zwischen den Buchdeckeln darf er aber noch nicht denken. 2015 veröffentlichte der Autor seinen 10. Siri-Roman in englischer Sprache. In Deutschland erscheint am 20. Juni 2016 zunächst der neunte der Reihe, „Dr. Siri und die Geisterfrau“. Darin zeigt der Held mehr als nur ein spirituelles Interesse an einem weiblichen Medium. Sehr zum Unmut seiner Gattin, Madame Daeng. Ja, der anfängliche Junggeselle Dr. Siri traf im Laufe seiner Ermittlungen noch einmal auf die Liebe.

Weiterführende Links
» Offizielle Autorenseite von Colin Cotterill
» Interview mit Colin Cotterill auf krimi-couch.de
» Autorenseite von Colin Cotterill bei Random House
» Leseprobe von „Dr. Siri und seine Toten“

Bildnachweis
Coverausschnitt „Dr. Siri und seine Toten“, Verlag Goldmann, Verlagsgruppe Random House.