Happy Birthday, Dr. Scarpetta – eine forensische Pathologin wird 25

cornwell-krimisBlond, kühl und körperbewusst mit einer Vorliebe für schnelle Autos, Bulldoggen, italienisches Essen und Rotwein, einem scharfen Verstand, dem Glauben an die Gerechtigkeit und die Richtigkeit kriminalistisch wissenschaftlicher Beweise – die Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta wirkt nicht zufällig wie ein Alter Ego ihrer literarischen Mutter, der US-amerikanischen Krimiautorin Patricia Cornwell. Diese steht zu den Parallelen und erklärte kürzlich dem Guardian, sie müsse keine Autobiographie schreiben. Sie verarbeite ihre Ängste seit 25 Jahren in ihren Romanen.

Dr. Kay Scarpetta betritt 1990 die Bühne der Krimi-Welt und macht ihre Erfinderin zu einer der führenden Bestseller-Autorinnen. Nach drei unveröffentlichten Vorgängern gelingt Cornwell mit dem ersten Scarpetta-Roman „Post Mortem“, auf Deutsch zuerst als „Ein Fall für Kay Scarpetta“ erschienen, ein fulminanter Einstieg.  Die Protagonistin ermittelt gegen einen Serienkiller, der Frauen vergewaltigt und bestialisch ermordet. Gewalttätige Psychopathen bleiben häufige Gegner Scarpettas.

Bis heute gewann kein anderer Erstling die renommierten Krimi-Literatur-Preise Edgar, Creasey, Anthony und Macavity sowie den französischen Preis für den Roman d’Aventure im selben Jahr. Und so ganz nebenbei begründet Cornwell mit ihrer forensischen Pathologin auch noch ein neues Krimi-Genre. Auch wenn Scarpetta nicht die erste Gerichtsmedizinerin ist, die Kriminalfälle löst, so schießen doch erst nach Cornwells Figur weitere medizinische Ermittler und Romane aus dem Boden und stürmen die Bestseller-Listen. Aus denen sind sie nun 25 Jahre und 22 Scarpetta-Fälle später nicht mehr wegzudenken. Cornwell ebnete Kolleginnen wie Kathy Reichs und Karin Slaughter, Fernsehserien wie CSI und Bones den Weg.

Neues Genre: aus Laboren und Leichenschauhäusern

Detailreich, basierend auf akribischer Recherche, begleitet der Krimi seine Heldin zu den Tatorten der Verbrechen und ins Labor. „Patricia Cornwell gelingt es, immer am Puls der Zeit und der jeweils zur Verfügung stehenden Untersuchungsmethoden zu bleiben“, bestätigt PD Dr. von Wurmb-Schwark, Leiterin des neuen forensischen Instituts, das an das Institut für Hämatopathologie Hamburg angeschlossen ist. „Man merkt den Büchern an, dass die Autorin genau recherchiert und nichts dem Zufall überlässt.“ Anfangs traute sich kein Verleger an diesen Stoff heran. Mehr als einmal bekam Cornwell zu hören, niemand wolle über Labore und Leichenschauhäuser lesen, schon gar nicht von einer weiblichen Gerichtsmedizinerin. „Nein, danke“, mit diesem Hinweis wurden ihre Manuskripte abgelehnt. Mit typisch selbstbewusstem und dennoch zurückhaltendem Südstaaten-Humor bekennt sie im Interview: „Nun, ich denke, das stellte sich als unwahr heraus.“

In den ersten 11 Romanen nimmt der Leser automatisch Scarpettas Blickwinkel ein, die als Ich-Erzählerin beschreibt, was sie sieht, hört, riecht und empfindet. Erst mit „Die Dämonen ruhen nicht“ wechselt Cornwell die Perspektive, lässt verschiedene Figuren sprechen. Sie hatte das Gefühl mit dem vorherigen Roman einen Endpunkt erreicht zu haben und sagt: „Ich wusste, wenn ich nicht aus Scarpettas Kopf herauskam, dann würde ich beschränkt bleiben.“ Diese Fähigkeit, ihren Figuren Raum zu geben und sich neu zu erfinden, tragen sicher zum einzigartigen Erfolg der Reihe bei. Immer wieder begegnet der Leser in den Romanen lieb gewordenen Figuren. Neben Scarpetta selbst sind da vor allem ihre geniale, aber problembeladene Nichte Lucy, der wohl wichtigste Mensch für die kühle forensische Pathologin. In „Post Mortem“ lernen wir Lucy als 10-Jährige kennen. Da hackt sie sich bereits in den Computer ihrer Tante. Ein ums andere Mal hilft sie ihr, die Fälle zu lösen. Offizieller Partner dabei ist jedoch der Detective Pete Marino. Ein echter Dinosaurier, der Kette raucht, übergewichtig ist und stets seinem Bauchgefühl folgt.

Bestseller-Autorin durch einen Zufall

„Die Königin der forensischen Thriller“ wird beinah unfreiwillig zur Krimi-Autorin erzählt Cornwell 2015 dem Online-Magazin Parade.com: „Das war ein absoluter Zufall und zuerst, kein glücklicher.“ Sie studiert Englisch, will Journalistin werden, Features schreiben. Der „Charlotte Observer“ stellt sie nach dem Studium ein, zunächst aber nur als Bürokraft. Manche Kollegen lassen sie kleine Geschichten schreiben. Sie macht Überstunden und schreibt Artikel über alles, was ihr jemand auf den Tisch legt. Dann bietet ihr der Redakteur den Aufstieg zur Polizei-Reporterin an. Die Dienstzeiten: sonntags bis donnerstags von 16 Uhr bis Mitternacht. Am Anfang hasst sie das Metier: „Ich war nie an Verbrechen interessiert. Ich wusste nichts darüber. Aber ich biss innerhalb von einem Herzschlag an. Ich war einfach fasziniert. Doch ich wollte nicht nur über Verbrechen berichten, ich wollte sie lösen.“

Cornwell besucht aus Interesse ein forensisches Labor und ist begeistert. Sie will alles lernen und bietet sich der Leiterin als Ehrenamtliche an. Erst arbeitet sie in ihrer Freizeit, dann wird sie als Computerfachfrau eingestellt. Dr. Marcella Fierro, die Chef-Gerichtsmedizinerin des US-Staats Virginia und Cornwells Boss, wird zum Vorbild für ihre literarische Kollegin Scarpetta. „Natürlich nimmt sich die Autorin Freiheiten heraus mit der forensischen Arbeit. Kein Gerichtsmediziner arbeitet bei der Lösung der Fälle so mit wie es Scarpetta tut oder irgendeiner ihrer Nachfolger. Aber das ist natürlich dem Genre geschuldet“, stellt von Wurmb-Schwark klar. Sie ergänzt: „ Und das macht sie mit viel Spannung und Liebe zum Detail.“

Fluch und Segen des technischen Fortschritts

Scarpetta verändert sich im Laufe der Jahre ebenso wie ihre Fälle. Die Autorin ist sich bewusst, wie viel sich in den letzten 25 Jahren getan hat: „Überwachungskameras und Spionagetechnologie haben die Art und Weise, wie wir Verbrechen untersuchen und Menschen verdächtigen, dramatisch verändert. Jeder Aspekt des Lebens, so wie ich es kannte als ich vor 25 Jahren über Scarpetta schrieb, ist heute nicht mehr wieder zu erkennen. Einerseits faszinieren Cornwell neue Technologien, andererseits ist sie sich der Gefahren mehr als bewusst. Stellvertretend malt sie sich in ihren Romanen aus, wie damit Böses getan werden könnte: „Es wird passieren. Wenn es möglich ist, wird jemand es tun.“

Im echten Leben vertraut die Bestsellerautorin ihrem Bauchgefühl: „Damit kannst du dich selbst vor wirklich gefährlichen Menschen schützen, denn leider sehen gewalttätige Psychopathen so aus wie du und ich.“ Allerdings fehle ihnen die Fähigkeit zur Empathie. In deren Welt drehe sich alles nur um ihre eigene Person. Um sicher zu gehen, bewegt sich die Bestsellerautorin selten ohne Bodyguard. Mehr als einmal wurde sie nach eigener Aussage beim Signieren von Büchern mit Messern oder Revolvern bedroht, auch ein Stalker verfolgte sie bereits. Ihr Mittel dagegen: Schreiben. Cornwell schreibt gegen die eigene Furcht an. Ein Ende der Scarpetta-Serie ist nicht in Sicht. In den USA erschien gerade zum 25-jährigen Jubiläum der Roman „Depraved Heart“, in Deutschland Ende September Fall 22 „Ihr eigen Fleisch und Blut“. Wann der bislang letzte Fall hierzulande herauskommt, ist noch nicht bekannt.

Weiterführende Links

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