Beim ASH 2016 vorgestellt: Chronische myeloische Leukämie – neue Studien

Anfang Dezember 2016 fand in San Diego mit 27.000 Teilnehmern der Amerikanische Hämatologen Kongress (ASH) statt. Wir waren mit vier Ärzten, bzw. Biologen vor Ort und haben uns über aktuelle Studien informiert und Methoden mitgebracht, die in Zukunft für unsere Institute eine größere Rolle spielen werden. Mit den neuesten Entwicklungen bei der Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie hat sich Dr. Lisa von Paleske ausführlich befasst.

Was ist eine chronische myeloische Leukämie?

Die chronische myeloische Leukämie, kurz CML genannt, ist eine bösartige Erkrankung des Knochenmarks, die auf eine genetische Veränderung zurückzuführen ist, auf das so genannte Philadelphia-Chromosom. Die CML ist damit auch die einzige bisher bekannte maligne Erkrankung, die auf einem Defekt in einem einzigen Gen beruht. Dabei kommt es zu einer reziproken Translokation, einem Austausch von Chromosomenabschnitten zwischen dem Chromosom 9 und dem Chromosom 22. Die Bruchstellen befinden sich im Breakpoint Cluster Region (BCR)-Gen sowie dem Abelson (ABL1)-Gen, so dass infolge der Translokation das veränderte Genprodukt BCR-ABL1 entsteht. Bei dem resultierenden Fusionsprotein kommt es unter dem Einfluss der BCR-Region zu einer dauerhaften Steigerung der ABL1-Tyrosinkinaseaktivität. Die Folge ist eine unkontrollierte Vermehrung der betroffenen Zelle.

Diagnose einer CML

Die Diagnose einer CML erfolgt meist im Rahmen einer Blutuntersuchung aufgrund unspezifischer Symptome wie Abgeschlagenheit, Kurzatmigkeit und Appetitlosigkeit. Im Blutbild sind eine Verminderung der roten Blutkörperchen (Anämie), eine Erhöhung der Gesamtzahl an weißen Blutkörperchen (Leukozytose) und eine erhöhte Zahl unreifer myeloischer Zellen zu beobachten. Manchmal findet sich auch nur eine moderate Leukozytose mit ausgeprägter Thrombozytose (thrombozytenreiche CML; DD zur essentiellen Thrombozythämie). Zur Sicherung der Diagnose erfolgt eine Untersuchung auf das charakteristische Philadelphia-Chromosom, das sich sowohl zytogenetisch als auch molekulargenetisch nachweisen lässt.

Die drei Phasen einer CML

Der Verlauf der CML erfolgt in drei Phasen. Bei Diagnosestellung befinden sich die Patienten zumeist in der chronischen Phase. In dieser Phase führen die oben beschriebenen Veränderungen des Blutbildes nur zu wenigen Einschränkungen der Funktionen des Knochenmarks, so dass die Patienten oft keine oder nur geringe Beschwerden haben. Patienten in der chronischen Phase können sehr gut medikamentös therapiert werden und haben in der Regel kaum Beschwerden.

Bei Fortschreiten der Erkrankung folgt die Akzelerationsphase. Hierbei verschlechtert sich das Blutbild und es werden vermehrt unreife Vorstufen (Blasten) im Blut nachgewiesen. Aufgrund der Vermehrung der weißen Blutkörperchen im Knochenmark kann der Körper weniger gesunde Blutzellen bilden. Ein Mangel an roten Blutkörperchen (Anämie) und Blutplättchen (Thrombozythämie) sind die Folge. In manchen Fällen können Patienten in der akzelerierten Phase durch eine Änderung der Therapie oder Erhöhung der Medikamentendosierung wieder in die chronische Phase überführt werden. Häufig jedoch geht der Krankheitsverlauf in die dritte Phase, die Blastenkrise über.

In der Blastenkrise vermehren sich die Blasten im Knochenmark explosionsartig und werden in das Blut ausgeschwemmt. Die Patienten haben starke Beschwerden, da die unreifen Blutzellen ihre Funktionen nicht mehr erfüllen können. Der Körper kann sich nicht mehr gegen einfachste Krankheitserreger schützen und es kommt schnell zu Fieber und Entzündungen. Die Blastenkrise verhält sich ähnlich einer akuten Leukämie mit einem schnellen Progress und einer kurzen Überlebensrate. Sie ist kaum behandelbar, außer durch eine Knochenmarktransplantation.

Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI)

Unbehandelt haben Patienten ab dem Zeitpunkt der Diagnosestellung eine Überlebensrate von drei bis fünf Jahren. Der Einsatz einer zielgerichteten Therapie durch so genannte Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) hat jedoch seit der Jahrtausendwende zu einer erheblichen Besserung der Prognose geführt. Unter dauerhafter Therapie mit TKI stellt sich meist eine vollkommene Normalisierung des Blutbildes ein. Nach Therapiebeginn sind im Verlauf immer wieder Kontrolluntersuchungen notwendig. Hierbei wird im peripheren Venenblut das BCR-ABL1-Fusionstranskript mit Hilfe der hochsensitiven real-time-PCR quantitativ erfasst und es wird überprüft, ob sich die Leukämie vollständig zurückgebildet hat (Remission). Ebenso ist durch die Therapiekontrolle frühzeitig das Auftreten einer Resistenz nachweisbar, bei der das Niveau des BCR-ABL1-Fusionstranskriptes im Blut wieder ansteigt. Dies macht eine Änderung der Medikamentendosis oder eine alternative Therapie erforderlich, also das Umsteigen von z.B. einem TKI der ersten Generation (Imatinib) auf einen TKI der zweiten (Nilotinib, Dasatinib) oder dritten Generation (Bosutinib, Ponatinib).

Die Quantifizierung erfolgt entsprechend der Internationalen Skala (IS), welche die Ergebnisse verschiedener Labore vergleichbar macht. Mit Beginn der Therapie ist das primäre Ziel, innerhalb des ersten Jahres eine sogenannte MMR, eine major molecular response zu erreichen. Diese MMR entspricht einer molecular response der Größenordnung 3 (MR3) oder einem BCR-ABL1-Wert von ≤0.1% auf der Internationalen Skala (IS). Es hat sich jedoch gezeigt, dass darüber hinaus ein schnelles Ansprechen und das Erreichen einer so genannten tiefen molekularen Remission, also mindestens einer MR4 (≤0.01%IS), angestrebt werden sollte, insbesondere, da dies langfristig sogar ein kontrolliertes Absetzen der Therapie erlaubt.

Absetzen der Therapie? – neue Studien

Auf dem Kongress der American Society for Hematology (ASH) 2016 wurden nun Studienergebnisse vorgestellt, die sich mit der Therapie und vor allem auch dem Absetzen der Therapie befassen. Erste Studien (STIM und TWISTER) haben gezeigt, dass etwa 40 % der Patienten ein Jahr nach Absetzen der TKI-Therapie weiterhin in Remission verblieben. Patienten mit molekularem Rezidiv sprachen auf die wiederholte Gabe von Imatinib an und mehr als die Hälfte erreichte nach Wiederaufnahme der Therapie erneut eine komplette molekulare Remission. Die Kriterien zur Teilnahme an diesen ersten Stopp-Studien waren verhältnismäßig streng mit einer mehr als 2-jähriger Negativität in der Real-Time-PCR (MR4.5 (≤0.0032%IS) oder MR5 (≤0.001%IS)). Neuere und aktuell laufende Studien (EURO-SKI, ENESTFreedom, ENESTPath, ENESTop, DADI) untersuchen nun, wo die Grenzwerte der Therapiedauer und der erforderlichen PCR-Sensitivität für ein erfolgreiches Absetzen der Therapie liegen.

Therapieverlauf und Erreichen einer MMR

Ein weiterer Punkt, der in den laufenden Studien adressiert wird, ist der Einfluss der Dauer, bis nach Therapiebeginn eine MMR erreicht ist. Ein großer Anteil der Patienten, die eine MMR nicht innerhalb von 12 Monaten erreichen, erreicht auch im weiteren Verlauf keine tiefe molekulare Remission. Zudem hat sich gezeigt, dass das Erreichen einer MMR innerhalb von 3 Monaten mit einer höheren Rate an tiefer molekularer Remission assoziiert ist. In diesem Zusammenhang ist auch die Wahl des Erstlinienmedikaments von Bedeutung, denn mehr Patienten, die mit Nilotinib oder Dasatinib therapiert wurden, erreichten eine tiefe molekulare Remission im Vergleich zu Patienten, die mit 400 mg Imatinib behandelt wurden.

Studien zu Lebensqualität und Nebenwirkungen

Bei der Auswahl der Therapie spielt neben Kriterien wie dem molekularen Ansprechen oder Vorerkrankungen jedoch auch die Lebensqualität des Patienten eine große Rolle. Diese muss neben klinischen Erwägungen bei der Wahl des Medikaments einbezogen werden. Trotz der relativ guten Verträglichkeit der TKIs treten bei den Patienten auch Nebenwirkungen wie Muskel- und Knochenschmerzen, Flüssigkeitseinlagerungen im Gewebe (Ödeme), Störungen im Verdauungstrakt (Übelkeit, Erbrechen und Durchfall) oder chronische Müdigkeit auf. Somit befassen sich viele laufende Studien mit dem Einfluss der TKI-Therapie sowie dem Wechsel oder Absetzen der TKIs auf die Quality of Life (QoL). Interessanterweise zeigen neue Daten einer aktuellen koreanischen Studie, dass im Zuge des Absetzens der Imatinib-Therapie nach einem halben Jahr zwar viele Symptome nachlassen, jedoch andere sich verstärken oder sogar neu auftreten. Dies deutet darauf hin, dass das Absetzen der TKI-Therapie nicht unbedingt auch eine Verbesserung der Lebensqualität erzeugt.

Analyse der Bruchpunkte unterstützt Therapiewahl

Auch die Lage der Bruchpunkte hat einen Einfluss auf das Therapieansprechen bei CML-Patienten. In den meisten Patienten befindet sich der Bruchpunkt innerhalb des BCR-Gens zwischen den Genabschnitten 13 und 14 oder den Genabschnitten 14 und 15. Neue Daten zeigen, dass Leukämien mit einem Bruchpunkt zwischen den Genabschnitt 13 und 14 schneller und generell besser auf TKI ansprechen und eine geringere Wahrscheinlichkeit der Transformation haben als Leukämien mit einer Translokation, die die Region zwischen den Genabschnitten 14 und 15 betreffen. Somit sollte auch diese Untersuchung fester Bestandteil der Diagnostik von CML-Patienten sein.