Kölner Tatort „Durchgedreht“ im rechtsmedizinischen Faktencheck

Tatort Durchgedreht

Bild: WDR/Martin Valentin Menke

Wie steht es um die rechtsmedizinischen und forensischen Fakten im Tatort „Durchgedreht“, mit dem die Krimireihe am 21. August 2016 aus der 11 Wochen langen Sommerpause in die neue Saison startete? Dr. Nicole von Wurmb-Schwark, Spurensachverständige von ForGen – Forensische Genetik und Rechtsmedizin am Institut für Hämatopathologie in Hamburg, erläutert die Fakten.

Max Ballauf und Freddy Schenk von der Mordkommission Köln stehen vor einem Rätsel. Der Einbruch in die Reihenhaus-Idylle eines Steuerfahnders endete mit dem Mord an seiner Lebensgefährtin und dem wenige Monate alten Sohn. Den ergatterten Schmuck hat der Einbrecher in der nächstgelegenen Mülltonne entsorgt. Die einzige Zeugin, Tochter Anna, schweigt traumatisiert. Familienmensch Schenk zeigt Einfühlungsvermögen für die Achtjährige, Single Ballauf drängt darauf, sie schnell zu befragen. Rechtsmediziner Roth liefert in einem Kurzauftritt frühe Hinweise auf den Täter, doch es dauert eine Weile, bis die Kommissare den verzwickten Fall klären können.

Wie realistisch ist der Einsatz von Dr. Joseph Roth als Gerichtsmediziner?
Bei einem solchen Fall würde die Polizei ihn normalerweise an den Tatort rufen. Dort würde er unter anderem die Spurenlage und den Leichenfundort beurteilen sowie eine erste Todeszeitbestimmung durchführen. Dazugehören etwa die Temperaturmessung (Raumtemperatur, Leichentemperatur rektal) und dann die Berechnung der Todeszeit durch die Abkühlung der Körpertemperatur. Ansonsten war seine Rolle ja (leider) eher klein.

Welche rechtsmedizinischen Methoden wendet er in „Durchgedreht“ an?
Dr. Roth gibt die Todeszeit an, allerdings ohne zu sagen, wie er darauf gekommen ist (wahrscheinlich beurteilte er dazu die Totenflecken und die Leichenstarre). Dann arbeitet er primär rechtsmedizinisch morphologisch, indem er feststellt, dass das Kind erwürgt wurde und die Frau stumpfe Gewalt erfahren hat. Sie erlitt zusätzlich mehrere Messerstiche, von denen mindestens zwei todesursächlich waren (also auch noch scharfe Gewalt). Dabei stellt er über die Eintrittswunde und den Wundkanal fest, was für eine Art Messer die Tatwaffe gewesen sein kann.

Führt der Rechtsmediziner im echten Leben alle diese Methoden alleine durch oder sind noch andere Experten und welche beteiligt?
Manche Dinge sind unterschiedlich gelöst im wahren Leben. So gibt es diverse Rechtsmediziner, die selbst in der Lage sind, festzustellen, welche Waffe benutzt wurde. Im Film scheint es die Kriminaltechnik zu machen.

Wie schnell dauert es in der Regel bis die Ergebnisse vorliegen?
Dass die Ermittler bereits morgens bei der Kripo wissen, dass das Blut an den Händen und der Kleidung des Mädchens von der Mutter stammt, obwohl sie diese Spuren auch erst morgens bekommen haben (als sie das Mädchen fanden), erscheint sehr schnell. Allerdings wird im Film auch nicht klar, wie viel Zeit tatsächlich zwischen Spurensicherung und Typisierungsergebnis lag. Im Eil-Fall kann eine solche Untersuchung auch in drei/vier Stunden durchgeführt werden. In der normalen Routine dauert so etwas allerdings meist länger.

Wieder einmal spielt ein Vaterschaftstest eine besondere Rolle im Kölner Tatort. Wie wurde das eingebunden?
Die Sache mit dem Vaterschaftstest ist schön und richtig beschrieben. Er darf in Deutschland tatsächlich nicht mehr durchgeführt werden, wenn nicht beide Elternteile zustimmen. Damit wurden also vor einigen Jahren die heimlichen Tests (unter anderem von Schnullern oder Taschentüchern der Kinder) verboten. Hierzulande dürfen Tests nur durchgeführt werden, wenn zusätzlich gesichert ist, von wem die zu untersuchenden Proben stammen. Daher wird die Probenentnahme in der Regel durch erfahrene Ärzte und generell unter Sicherung der Identität durchgeführt. In Holland dagegen sind die Regelungen bezüglich genetischer Tests sehr viel lockerer.

Kann ein Rechtsmediziner durch eine erste Obduktion bereits feststellen, wie groß der Täter oder ob er Rechtshänder war?
Im Film wurde anhand des erwürgten Jungen festgestellt, dass der Täter Rechtshänder sei. Das ist sehr gewagt. Es gibt experimentelle Ansätze, die aber längst noch nicht reif für eine routinemäßige Anwendung sind. Anhand möglicher Abdrücke an der Haut des Halses, kann man mit Einschränkungen möglicherweise erkennen, ob jemand kleine oder große Hände hatte. Allerdings hält das Opfer selten still, so dass man fast nie perfekte Abdrücke der Hand oder der Finger am Hals findet.
Irgendwann wird gesagt, dass der Täter ein Mann war. Warum erschließt sich nicht. Vielleicht auch über die Feststellung der Handgröße (Abdrücke am Hals)?

Wenn Sie den Tatort aus rechtsmedizinischer Sicht beraten würden, was hätten Sie sich an „Durchgedreht“ anders gewünscht?
Wie bereits anfangs erwähnt, wäre der Rechtsmediziner am Leichenfundort stärker eingebunden gewesen.
Schön war, wie Max Ballauf bei dem Erhängten kurz das Hosenbein hochschob. Warum er das macht, hätte allerdings erklärt werden können. Prüfte er den Fußpuls? Das ist nicht so einfach. Wahrscheinlicher ist, dass er nach sicheren Todeszeichen suchte. Wenn sich jemand erhängt, sackt das Blut nach unten und es bilden sich Totenflecken an den Extremitäten. Treten diese am Knöchel auf, ist der Mensch sicher tot. Sonst hätten die Kommissare ihn abnehmen und reanimieren müssen. Vollständig wäre es also gewesen, wenn Ballauf gesagt hätte, dass er sicher tot ist.

Das Erste zeigt „Durchgedreht“ noch bis 20.9.2016 täglich von 20 bis 6 Uhr (Jugendschutz) in seiner Mediathek http://mediathek.daserste.de.

Der Tatort aus Köln

Mit über 60 Fällen gehören die Kölner Kommissare Ballauf und Schenck zu den dienstältesten Tatort-Ermittlern der langlebigsten deutschen Krimireihe. 1997 gingen sie an den Start, ein Jahr später beim dritten Fall stieß als wiederkehrende Nebenfigur der Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth zum Ensemble. Gespielt von Schauspieler und Gefängnisarzt Joe Bausch liefert er den Kommissaren ein ums andere Mal wichtige Hinweise zu Todesursachen und andere rechtsmedizinische Fakten.

Der Glatzkopf mit der markanten Stimme hat sich dabei seine eigene Fangemeinde erspielt. Anders als zum Beispiel Kollege Professor Boerne aus dem Münsteraner Tatort sehen die Zuschauer ihn in der Regel nur am Tatort oder an seinem Arbeitsplatz, wahlweise am Obduktionstisch oder am Mikroskop.