Kieler Tatort „Borowski und das verloren Mädchen“ im rechtsmedizinischen Faktencheck

Borowski und das verloren Mädchen

© NDR/Christine Schroeder

Wie steht es um die rechtsmedizinischen und forensischen Fakten im neuen Tatort „Borowski und das verlorene Mädchen“? Dr. Nicole von Wurmb-Schwark, Spurensachverständige und Dr. Thorsten Schwark, Facharzt für Rechtsmedizin von ForGen – Forensische Genetik und Rechtsmedizin am Institut für Hämatopathologie in Hamburg, erläutern die Fakten.

Die 17-jährige Julia, zuvor brutal von ihrem Bruder gefesselt, meldet panisch bei der Polizei das Verschwinden ihrer Freundin Maria. Zeitgleich wird ein islamistischer Straftäter aus dem Gefängnis entlassen. Auch er kennt Maria. Deren Leiche landet derweil unsanft in der Kieler Förde. Die Kommissare Borowski und Brandt nehmen die Suche nach der anfangs noch Vermissten auf. Borowski ist skeptisch ob der Vorwürfe, die Julia ihrem Bruder gegenüber äußert. Dann wird die Leiche am Ufer angespült und die Ermittlungen nehmen Fahrt auf. Der eigentliche Krimi entwickelt sich aber um Julia, die im Islam Heil und Rettung vor der eigenen Familie und dem scheinbar sinnlosen ungerechten Leben in Deutschland sucht. Dazu mischt sich auch noch der Verfassungsschutz in die Arbeit der beiden Kommissare ein. Gegen Ende wird eine zweite Leiche gefunden.

Gleich beim ersten Verhör vor Ort fotografiert Sarah Brandt Julias Verletzungen mit dem Smartphone. Wie realistisch ist das und warum tut sie das?
Die Ermittler nutzen vor Ort durchaus ein Smartphone. Das ist einfach praktisch, weil sie so gleich möglicherweise wichtige Hinweise sichern und diese sofort den Kollegen zeigen können. Trotzdem gibt es noch die Fotografen bei der Polizei und die Rechtsmediziner, die die Verletzungen von Gewaltopfern begutachten und gerichtssicher dokumentieren.

Als Marias Leiche gefunden wird, sind verschiedene forensische Ermittler vor Ort. Wer ist bei einer Wasserleiche standardmäßig dabei und welche Untersuchungen sind besonders wichtig an einem Tatort?
Das hängt vom Fall ab. Eine „normale“ Wasserleiche ohne Hinweise auf ein Tötungsdelikt bergen Polizei oder der Kriminaldauerdienst. Besteht der Verdacht auf eine Tötung sind Mordkommission und Spurensicherung anwesend, ein Rechtsmediziner wird hinzugezogen. Der ermittelt nicht selbst. Er sammelt Fakten und dient als unabhängiger Sachverständiger der Polizei bzw. der Staatsanwaltschaft.

Forensiker Felix gibt noch am Fundort die ersten Informationen an die Kommissare. Lässt sich da tatsächlich bereits feststellen, ob die Leiche angespült wurde? Wie realistisch ist es, dass er das Möwen-Tattoo und die Reifenspuren findet?
Die Schiffsschraubenverletzungen deuten ziemlich klar darauf hin, dass die Leiche im Wasser trieb. Zusätzlich weisen solche Leichen häufig Treibspuren auf, die sie nicht hätte, wäre sie nur an den Strand gelegt worden. Bereits vor Ort wird sie sorgfältig begutachtet, die Tätowierung und die Reifenspuren können dabei durchaus bemerkt werden.

Rechtsmediziner und Kommissare zeigen Marias Nachbarin die Leiche auf dem Obduktionstisch und befragen sie. Wer darf eine Leiche identifizieren?
Da gibt es keine Regel. Wichtig ist, jemand zu finden, der die Person gut genug kannte, um sie sicher und verlässlich zu identifizieren.

Welche rechtsmedizinischen Methoden werden in dem neuen Borowski-Tatort angewandt und wie lange braucht es, bis die Ergebnisse verfügbar sind?
Mittels einer toxikologischen Analyse soll nach Drogen und Medikamenten gesucht werden. Dies dauert bei einem Schnelltest nur wenige Minuten. Eine komplette, ausführliche Untersuchung dauert allerdings lange und ist in der Realität häufig erst nach mehreren Wochen abgeschlossen. Bei Michael Jackson benötigte die Toxikologie zum Beispiel sechs Wochen für das Ergebnis.

Forensiker Felix findet mit einem „neuen Programm“ den Ort, an dem Marias Leiche in die Förde gestoßen wurde. Ist es möglich, anhand der Eingabe von Fundort, Strömung, Windrichtung, Gewicht der Leiche und ungefährem Zeitpunkt, an dem sie im Wasser lag, den Ort zu ermitteln?
Genau über solche Faktoren wird versucht, herauszufinden, wo die Leiche in das Wasser verbracht worden ist. Ob es ein Programm dazu gibt, wissen wir nicht. Aber Felix sagt ja auch, es sei neu. So etwas als App auf dem Handy wäre sicherlich nett, wenn es sie nicht schon gibt. Apps, mit denen sich die Todeszeit schätzen lässt, existieren bereits.

Bei der eingehenderen Obduktion findet Rechtsmedizinerin Kroll Splitter eines Blinkers an der Leiche. Ist es möglich, anhand weniger Teile den Fahrzeugtyp oder sogar den Halter festzustellen?
Die Kriminaltechniker können tatsächlich kleine Plastikteile dem Ursprungteil und auch dem Fahrzeugtyp zuordnen. Wie die Rechtsmedizinerin allerdings anhand der kleinen Stückchen auf die Idee kommt, dass es sich um einen Blinker handelt? Natürlich sagt das Plastik auch nichts über den Halter aus.

Lässt sich direkt bei der ersten Obduktion feststellen, dass die Tatwaffe ein Messer und wie lang die Klinge war?
Über den Stichkanal, also die verursachte Wunde, kann festgestellt werden, dass es sich um ein Messer handelte. Auch die Länge des Messer, die Klingenbreite und ihre Beschaffenheit (ein- oder zweischneidig) können mit gewissen Einschränkungen geschätzt werden.

Was hätten sie sich am Kieler Tatort aus rechtsmedizinischer Sicht anders gewünscht?
Im Großen und Ganzen war es rechtsmedizinisch wirklich in Ordnung. Die Angabe der Rechtsmedizinerin, dass sicherlich kein Sexualdelikt vorlag, war allerdings etwas „sportlich“. Stellt sich die Frage, woher sie das wissen will. Sie hätte eigentlich sagen müssen, dass sie keine Hinweise auf ein Sexualdelikt gefunden hat. Etwas sicher auszuschließen, ist immer sehr schwierig.
Dass die Handgelenksverletzungen anfangs von einer Polizistin verbunden wurden, war vielleicht nicht so gut. Bei so tiefen Verletzungen hätte man das Mädchen sicherlich ins Krankenhaus gebracht und sie zusätzlich noch professionell von einem Rechtsmediziner untersuchen lassen. Sie hätte ja noch weitere Verletzungen haben können.

Das Erste zeigt „Borowski und das tote Mädchen“ noch bis 6.12.2016 täglich von 20 bis 6 Uhr (Jugendschutz) in seiner Mediathek http://mediathek.daserste.de.

Der Tatort aus Kiel

2003 ging Klaus Borowski mit der Folge „Väter“ als Ermittler in Serie. In den ersten sieben Jahren stand ihm Psychologin Frieda Jung in insgesamt 14 Fällen zur Seite. Seit 2010 ermittelt Borowski mit Sarah Brandt. Er spielt dabei den zurückhaltenderen Part, der ihre direkte bis spöttische Art mit stoischer Ruhe hinnimmt. Während Borowski einfühlsam gegenüber ihm fremden Verhältnissen reagiert, verbeißt sich Brandt mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln in die Lösung der Fälle. Rechtsmedizinische und forensische Erkenntnisse spielen keine Hauptrolle in den Kieler Tatorten, liefern aber immer wieder wichtige Hinweise auf die Täter. Seit 2015 spielt Anja Antonowicz die leitende Rechtsmedizinerin. Als wiederkehrender Charakter kommt auch Kriminaltechniker Klee ins Spiel.