China Thriller mit Suspense und Kulturkritik

„Chinesisches Feuer“, der erste Teil der sechsteiligen Reihe von China-Thrillern, beginnt fast schon klassisch für einen Kriminalroman. Im Prolog beschreibt Autor Peter May detailreich einen Tatort und gibt gleichzeitig einen Einblick in das belebte Treiben der Mega-City Peking. Im zentralen Ritan-Park mit seinen Tai-Chi- und Tanz-Sportlern finden Kinder eine brennende Leiche. Wer der Tote ist und was er mit dem Fall zu tun, erfährt der Leser erst mehrere Seiten später.

Spannend an den Büchern um die US-amerikanische forensische Pathologin Dr. Margaret Campbell und den chinesischen Polizisten Li Yan sind nicht nur die Ermittlungen und die für einen Krimi ungewöhnlichen Schauplätze. Mit dem ungleichen Paar Campbell und Li treffen zwei Kulturen aufeinander. Aber auch wenn dem westliche Leser Campbells Reaktionen vertrauter sind und die chinesischen Charaktere fremd wirken, Autor May nimmt seine Figuren ernst. Er führt sie nie vor und verweigert sich konsequent der klischeebeladenen Karikatur vom kommunistisch erzogenen Chinesen, der die Segnungen des Westens entdeckt.

Mit Dr. Campbell über den westlichen Tellerrand blicken

May nimmt sich viel Zeit, seine Figuren und das Setting der Bücher einzuführen. Gleich zu Anfang geraten Campbell und Li im wahrsten Sinne des Wortes aneinander. Gegenseitige Sympathie liest sich anders. Der aufstrebende Detektiv radelt zur Arbeit, während Campbell im Auto chauffiert wird – immer in Begleitung von Genossin Li Li Peng. Am Vortag in Peking angekommen, tritt die Ärztin nicht nur ihr, sondern auch Li Yan sofort auf die Füße. Erst allmählich versteht die US-Amerikanerin, wie wichtig für ihre Gastgeber ist, ihr „mianzi“, das Gesicht, nicht zu verlieren. Geholfen hätte sicherlich, einen Blick in ihre Reiseunterlagen zu werfen. Durch die anfänglich etwas arrogant auftretende Campbell gelingt May ein tiefer Einblick in Land und Leute, ohne so zu tun als kenne er China von innen. Der Blick bleibt ein westlicher, aber zunehmend faszinierter, durch die Brille der US-Amerikanerin.

Nicht nur die fremde Kultur macht Campbell zunächst zu schaffen. Sie kämpft mit einem frisch gebrochenen Herzen und leidet unter dem Jetlag. Derweil begleitet der Leser Li, der gerade befördert wurde, wie er radelnd seinen Tag beginnt. Zu seinem Morgenritual gehört, sich an seinem Stamm-Straßenimbiss ein köstliches Jian Bing, eine herzhafte chinesische Crêpe, fertigen zu lassen. Köchin Mei Yuan liest Descartes und rätselt mit dem jungen Detektiv um die Wette. Ganz nebenbei erfährt das Publikum durch Meis Geschichte mehr über die Kulturrevolution der 70er Jahre.

Im Büro angekommen, sieht sich Li drei Todesfällen gegenüber, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Wäre da nicht eine ausgedrückte Zigarette der selben Marke an jedem Fundort. Eine der Leichen ist der brennende Tote aus dem Park. Wie gut, dass gerade eine der führenden forensischen Spezialistinnen für Brandopfer als Dozentin an der Polizeiakademie weilt: Dr. Margaret Campbell, die sogleich von Lis Chef hinzugezogen wird. Der „Zufall“ erlaubt es den Protagonisten, sich wider Erwarten näher kennenzulernen.

Intensive Recherchen in China und der Leichenhalle

„Faszinierend bei May sind die sehr ausführlichen Autopsie-Beschreibungen. Der Autor hat offensichtlich intensiv recherchiert und fängt auch die Atmosphäre am Seziertisch gut ein“, beurteilt Prof. Dr. Katharina Tiemann den Krimi. „Eine Leiche zu öffnen, das kann nicht nur harte körperliche Arbeit sein, sondern kommt auch mit unangenehmen Gerüchen und für den Laien ungewohnten Einsichten daher.“

Um die Abenteuer von Campbell und Li möglichst realistisch zu gestalten, recherchierte der Autor akribisch. Dabei kamen ihm seine früheren Karrieren als Journalist und TV-Drehbuchautor zu Gute. Mehrfach bereiste May China. In einem Interview beschrieb er 2008 seinen ersten Eindruck vom kulturellen Unterschied zu Anfang der 80er Jahre: „Und wenn ich dachte, die sind aber merkwürdig, dachten sie [die Chinesen] ich sei noch merkwürdiger – ein 1,90 großer Schotte mit rotem Bart und hellem Haar.“ Die chinesische Polizei gewährte ihm später seltene Einblicke in ihre Arbeit. May war Gast mehrerer gerichtsmedizinischer Institute und hospitierte beim FBI. Die Detailtreue tut dem „Chinesischen Feuer“ einerseits gut, andererseits macht es den Krimi zwischenzeitlich ein wenig langatmig.

Ein ungleiches Duo findet zusammen

Anfangs finden Campbell und Li sich gegenseitig mehr als gewöhnungsbedürftig. Es dauert eine Weile, bis sie sich annähern, schätzen lernen und schließlich sogar Gefühle füreinander entwickeln. Insgesamt sechs Romane von 1999–2004 widmete der Schotte May der Liebesgeschichte seines bi-nationalen Paares. Die bleibt spannend wie die Krimiplots, weil May seinen Protagonisten die ein oder andere Beziehungspause im Verlauf der Buchreihe gönnt. In Deutschland hielt sich das Interesse an der Krimi-Reihe anders als im benachbarten Frankreich allerdings in Grenzen. Während er dort mit Preisen überhäuft wurde, warten die letzten drei China-Thriller noch auf eine deutsche Erstauflage. Wer des Englischen mächtig ist, kann natürlich gleich zu den Originalen greifen. Die drei auf Deutsch erschienen Ausgaben sind derzeit vor allem antiquarisch zu erwerben und in gut sortierten Büchereien. Eine Entdeckung sind sie durchaus wert.

Weiterführender Link
» Offizielle Autorenseite von Peter May – englisch