Münsteraner Tatort „Feierstunde“ im rechtsmedizinischen Faktencheck

Tatort "Feierstunde" aus Münster

Bild: WDR/Willi Weber

Wie steht es um die rechtsmedizinischen und forensischen Fakten im Tatort „Feierstunde“, mit dem der Tatort aus Münster am 25. September 2016 ein Jubiläum beging? Dr. Nicole von Wurmb-Schwark, Spurensachverständige von ForGen – Forensische Genetik und Rechtsmedizin am Institut für Hämatopathologie in Hamburg, erläutert die Fakten.

Der unscheinbare Prof. Götz stürmt mit einer Pumpgun bewaffnet in den Hörsaal und durchsiebt Prof. Boerne – zum Glück stellt sich das Szenario als reine Phantasie heraus. Davon hat Götz eine ganze Reihe auf Lager, die er mit seiner Therapeutin Dr. Corinna Adam regelmäßig teilt. Während Boerne bewilligte Fördermittel feiert, fehlen dem Kollegen Gelder, um die schwere Krankheit seiner Frau zu erforschen. Kurz darauf wird sie tot aufgefunden. Kommissar Thiel verdächtigt Goetz. Nachbarn haben ihn fluchtartig aus dem Haus stürmen sehen. Während Boerne auf seinen jüngsten Erfolg anstößt, dringt Goetz in dessen Feierstunde ein. Thiel, von Staatsanwältin Klemm ausgebremst, lässt nicht locker und setzt sich auf Goetz Spuren. Für Boerne nimmt der Abend eine bedrohliche Wendung. Der neue Münster Tatort setzt ganz auf Spannung à la Hollywood.

Wie realistisch ist der Einsatz von Prof. Dr. Boerne als Gerichtsmediziner?
Nicht sehr realistisch. Man muss nur einmal bedenken, dass er seit zehn Jahren völlig allein mit seiner Assistentin dieses Institut schmeißt. Die beiden decken zu zweit nicht nur die gesamte rechtsmedizinische Seite ab, sondern auch alles andere.

Ein Rechtsmediziner ist eigentlich nicht dazu da, mit der Polizei zusammen zu ermitteln. Er soll die Polizei unterstützen, sie mit möglichst vielen Fakten versorgen, aber auf keinen Fall selbst ermitteln und womöglich noch auf eigene Faust losziehen.

Was ich aber tatsächlich sehr gelungen finde, ist die immer vorhandene Neugierde und der Enthusiasmus von Boerne. Sein Wille, mit zu helfen. Ich bin generell der Meinung, dass man seinen Job nur gut macht, wenn man ihn wirklich mag. Und je anspruchsvoller dieser Job ist, umso mehr sollte man ihn mögen. Wer so etwas desinteressiert herunter spult, kann kein guter Mitarbeiter sein.

Tatort Feierstunde

Bild: WDR/Willi Weber

Boerne gelangt mit alleiniger Hilfe von Silke Haller zu Erkenntnissen. Würde das auch bei einem echten Fall so laufen oder wären noch andere Experten und falls ja, welche beteiligt?
Prof. Boerne arbeitet ja in einem Universitätsinstitut und diese verfügen im Normalfall über mehr Personal als nur über zwei Rechtsmediziner. Während der Obduktion hilft immer ein Sektionsassistent. Das ist in etwa der Krankenpfleger des Rechtsmediziners. Er kümmert sich um die „Leichenverwaltung“, bereitet die Sektion vor, unterstützt währenddessen, asserviert Proben, bereitet die Sektion nach und macht hinterher alles sauber.

Dazu kommen weitere Naturwissenschaftler wie Toxikologen, die Gifte, Alkohol, Medikamente oder Drogen nachweisen und Genetiker, die aus biologischen Spuren den bekannten genetischen Fingerabdruck erstellen, um Spuren einer Person zuordnen oder diese als Spurenverursacher ausschließen zu können.

Größere Institute beschäftigen noch andere Spezialisten wie z.B. Anthropologen für die Untersuchung von Skeletten und Knochen. Hier macht Boerne alles alleine, das kann nicht funktionieren.

Welche rechtsmedizinischen Methoden wendet er in „Feierstunde“ an?
Nachdem er eine „normale“ Obduktion durchgeführt hat, versucht er sich ein bisschen in „Tat-Rekonstruktion“. D.h., er zeigt, wie sich die Ehefrau mit der Pumpgun hat suizidieren können, indem er den möglichen Ablauf nachstellt. Außerdem weist er sogenannte Schmauchspuren nach, was in dieser Art von Fällen tatsächlich indiziert ist.

Wie lange dauert es bis die Ergebnisse vorliegen?
In wichtigen Fällen ist es üblich, dass Rechtmediziner bereits während oder direkt nach der Obduktion ein vorläufiges Ergebnis herausgeben, um schnell ermitteln zu können. Daher sind häufig Mitarbeiter der Polizei und der Staatsanwaltschaft bei Obduktionen zugegen. Deshalb kann sich Boerne hier auch sofort äußern. Ein Schmauchspurtest ist schnell gemacht.

Kann ein Rechtsmediziner durch eine erste Obduktion bereits feststellen, ob die Tote Suizid begangen hat und ist der so wie im Tatort dargestellt überhaupt möglich?
Menschen nehmen sich auf seltsamste Arten das Leben. Es gibt Fälle, da wurde der Abzugshahn mit den Zehen bedient. Warum also nicht? Wenn Menschen wirklich verzweifelt und sich ihrer Sache sicher sind, ja. Ein Rechtsmediziner würde aber wohl eher sagen, dass ein Selbstmord möglich sei oder die Befunde mit einem solchen vereinbar. Und eher nicht, dass es sich hundertprozentig um Suizid handelt. Man hätte sich noch die Hände der Toten genauer ansehen können. Manchmal gibt es hier Verletzungen und spezifische Blutspritzmuster.

Der Täter droht der von ihm in Geiselhaft gehaltenen Feiergesellschaft. Er habe eine Substanz kreiert, die ALS-Symptome hervorruft und zum Tod führt. Ist es möglich, eine solche Substanz zu kreieren?
Bestimmt. Aber als forensische Genetikerin kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten, dafür müssen Sie sich an die entsprechenden Experten wenden.

Wie nah sind die Symptome von Botulismus, paralytischer Tollwut und ALS wirklich?
Spontan würde ich sagen, dass sich die Symptome teilweise an anderen Körperstellen zu zeigen beginnen. Eine Botulinusvergiftung verläuft wie dargestellt, aber ALS? Tollwut sieht anfangs definitiv anders aus, außerdem dauert es von der Infektion bis zum Ausbruch der Symptome länger. Da es sich aber im Tatort auch um ein künstlich erschaffenes oder verändertes Laborvirus hätte handeln können, gibt es genug Freiheiten für eine solche Darstellung.

Wenn Sie den Tatort aus rechtsmedizinischer Sicht beraten würden, was hätten Sie sich an „Feierstunde“ anders gewünscht?
Hier gäbe es einige Dinge, die anders dargestellt werden sollten, um realistischer zu wirken. Nicht alle sind allerdings rechtsmedizinisch relevant.

So ist der Geiselnehmer, Prof. Götze, ein sogenannter Juniorprofessor. Die Juniorprofessur wurde vor mehr als zehn Jahren eingeführt und ist eine Art Assistenzprofessur. Ein Juniorprofessor bekommt einen Vertrag für drei Jahre, die um weitere drei Jahre verlängert werden, wenn eine Zwischenevaluation positiv ausfällt. Die Juniorprofessur soll Akademiker nach ihrer Doktorarbeit und einer möglichen Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter auf eine Karriere als Professor/in an einer Hochschule vorbereiten. Also ist der Hauptakteur dafür eigentlich zu alt.

Und wenn Boerne Forschungsgelder für sein Mumienprojekt einstreicht, nimmt er dabei im Normalfall keinem ALS-Forscher etwas weg, weil beide Projekte völlig unterschiedliche Forschungsschwerpunkte haben. So bekommt ja auch ein Historiker Geld, um Details des 2. Weltkrieg zu erforschen, während gleichzeitig ein Naturwissenschaftler dafür Geld erhält, neue Erkenntnisse über Ebola zu gewinnen.

Die Sache mit der Schweigepflicht ist schwierig. Thiel wirft der Ärztin, die den Mörder und Geiselnehmer behandelt hat, vor, dass sie sich nicht bei der Polizei gemeldet hat, obwohl sie hätte ahnen können, dass ihr Patient gefährlich ist. Das muss kein Arzt tun. Erst, wenn er konkrete Hinweise auf eine Gefährdung hat, KANN er seine Schweigepflicht brechen und die Polizei informieren, muss es aber nicht.

Das Erste zeigt „Feierstunde“ noch bis zum 2. Oktober 2016 täglich von 20 bis 6 Uhr (Jugendschutz) in seiner Mediathek http://mediathek.daserste.de.

„Feierstunde“ ist nicht nur der Titel dieses Münsteraner Tatorts, die Crew rund um Rechtsmediziner Prof. Boerne und Hauptkommissar Thiel feiert mit dieser Folge auch ihren 30. Fall. Seit das ungleiche Paar 2002 zum ersten Mal auf Verbrecherjagd ging, gehören die Krimis, die in der westfälischen Universitätsstadt spielen, zu den beliebtesten und quotenträchtigsten der Tatort-Reihe. Boerne, der geniale aber ziemlich eingebildete Professor, und der aufbrausend herzliche Thiel könnten kaum gegensätzlicher sein. Das starke Ensemble komplettieren drei Frauen. Silke Haller, Boernes engste Mitarbeiterin, weiß dessen Witze über sie als versteckte Anerkennung zu deuten. Die patente Nadeshda Krusenstern ergänzt Thiel als Assistentin. Die kettenrauchende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm legt Thiel mit Reibeisenstimme gern Knüppel in den Weg.