„Knochen sind verwirrend, aber sie lügen nie“

Clyde Snow gilt als der Superstar der Pathologie, als der Mann, der die Rechtsmedizin in den Fokus der Medien rückte. Er untersuchte das Attentat auf US-Präsident John F. Kennedy, die sterblichen Überreste des Pharao Tutanchamun und die Knochen des KZ-Arztes Josef Mengele. Und er warf einen Blick in Massengräber und half so dabei, Kriegsverbrechen aufzuklären.

Unter dem Motto: „Bones can be puzzles, but they never lie, and they don’t smell bad“ – „Knochen sind verwirrend, aber sie lügen nie, und sie riechen nicht unangenehm“, gelang es dem Texaner Snow, die Forensik populär zu machen.

Seine Leidenschaft für Knochen entdeckte der junge Snow schon als zwölfjähriges Kind, als er gemeinsam mit seinem Vater auf zwei Skelette stieß: Die Knochen eines Hirsches und seines Jägers, der nach dem Schuss scheinbar an einem Herzinfarkt gestorben war. Mithilfe des Schlüsselbundes, den der Junge und sein Vater neben den sterblichen Überresten fanden, konnte der Mann später identifiziert werden. Ein Ereignis, das den kleinen Clyde nicht mehr losließ. Zunächst studierte er jedoch Zoologie, promovierte aber später in Anthropologie.

Sein erster Job führte Snow zur Flugaufsichtsbehörde Federal Aviation Administration. Dort setzte er sich mit den Folgen von Flugzeugabstürzen für die Flugpassagiere auseinander und entwickelte infolgedessen Maßnahmen, um die Reisegäste im Falle eines Flugunfalls zu schützen.

Knochen lesen, Verbrechen klären

Doch es war besonders das „Lesen der Knochen“, das Snow interessierte und faszinierte. Also widmete er sich ab den 1970er Jahren voll und ganz der Forensik.

Zu den spektakulären Fällen, mit denen er befasst war, gehörte 1978 beispielsweise die erneute Untersuchung des Attentats auf John F. Kennedy.

Und auch an der Identifizierung der Opfer eines Flugzeugabsturzes nahe Chicago ein Jahr später, bei dem insgesamt 273 Menschen ums Leben kamen, war Snow maßgeblich beteiligt. Der Absturz gehört zu den schwersten Flugunfällen in den USA. Kurz nach dem Start in Chicago stürzte die Maschine der American Airlines mit dem Ziel Los Angeles in der Nähe einer Wohnwagensiedlung ab. Alle Personen an Bord starben. Augenzeugen berichteten von einer sehr starken Explosion. Umherfliegende Trümmerteile der Maschine schlugen in einige Wohnwagen der benachbarten Siedlung ein und töteten zwei Bewohner. Zwei weitere Menschen erlitten schwere Verletzungen. Snow und sein Team untersuchten zur Identifizierung der getöteten Personen insgesamt 12.000 Leichenteile und ordneten diese zu.

Als 1995 ein Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City verübt wurde, wurde Snow abermals zur Unterstützung hinzugezogen. Auch dort trug er zur Identifizierung der Opfer bei. Insgesamt 168 Menschen kamen ums Leben, nachdem ein mit Sprengstoff beladener Lastwagen explodiert war. Darunter auch viele Kinder, die einen Kindergarten innerhalb des Gebäudes besucht hatten. Als Motiv für die Tat gilt ein rechtsextremer Hintergrund. Bis heute zählt der Anschlag zu den schlimmsten Terroranschlägen in den USA.

Mehr und mehr begann Snow aber auch, sich für Menschenrechtsorganisationen zu engagieren. Er ließ Massengräber, etwa in Jugoslawien und Ruanda, im Irak sowie in Chile öffnen und half dabei, Kriegsverbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Snow sagte etwa gegen Sadam Hussein aus und lieferte darüber hinaus wichtige Hinweise in anderen Kriegsverbrecherprozessen. Dabei war dem Texaner immer eines besonders wichtig: Er wollte nicht als Ankläger oder Richter, sondern vielmehr als Wissenschaftler wahrgenommen werden.

Die Geschichte hinter den Knochen

Als Wissenschaftler, für den die Geschichten hinter den Knochen besonders zählten. „There are 206 bones and 32 teeth in the human body and each has a story to tell”, soll Snow häufig geäußert haben: „Es gibt im menschlichen Körper 206 Knochen und 32 Zähne und jeder erzählt eine Geschichte.“

Und Snow lebte dafür, diese Geschichten aufzudecken und publik zu machen. Sein Herz schlug dabei auch und gerade für prominente Fälle. Der Rechtsmediziner untersuchte beispielsweise die sterblichen Überreste des KZ-Arztes Josef Mengele, der als Todesengel von Auschwitz traurige Berühmtheit erlangte. Snow gelang es zu belegen, dass es sich bei den im brasilianischen Embù gefundenen Knochen tatsächlich um die sterblichen Überreste des gesuchten Mengele handelte, der dort unter dem Namen Wolfgang Gerhard beerdigt werden war.

Auch den Fall der Banditen Butch Cassidy und Sundance Kid untersuchte Snow. Sein Ergebnis: Die sterblichen Überreste in einem Grab in Bolivien gehörten nicht zu den beiden US-Gangstern.

Am 16. Mai 2014 starb der Rechtsmediziner infolge einer Krebserkrankung im Alter von 86 Jahren in Norman in Oklahoma. In der Stadt, wo er selbst Jahre zuvor dabei geholfen hatte, die Opfer des Bombenanschlags zu identifizieren.