Wie steht es um die rechtsmedizinischen und forensischen Fakten im Tatort „Nachtsicht“, in dem es die Bremer Kommissare mit einem Serienmörder zu tun bekommen? Dr. Nicole von Wurmb-Schwark, Spurensachverständige und Dr. Thorsten Schwark, Facharzt für Rechtsmedizin, von ForGen – Forensische Genetik und Rechtsmedizin am Institut für Hämatopathologie in Hamburg, erläutern die Fakten.
Unter Verdacht gerät der Maler und Lackierer Kristian Friedland, dessen Handy am Tatort gefunden wurde. Die Vernehmung des Verdächtigen wird gestört. Sein Vater verhindert eine weitere Befragung. Schnell wird klar, dass die Familie etwas verbirgt. Kurz darauf wird ein zweiter junger Mann überfahren. Die Verbindung zu drei weiteren ungeklärten Fällen lässt die Kommissare vermuten, dass es sich um einen Serientäter handelt. Die Taten und der Zustand der Leichen lassen sogar Gerichtsmediziner Dr. Katzmann nicht kalt.
Noch vor Ort stellt Dr. Katzmann am ersten Tatort fest, dass die Leiche dreimal überfahren wurde. Woran lässt sich das erkennen?
Dass eine Person überrollt wurde, ist – außer am Verletzungsbild, welches bei der Obduktion dokumentiert wird – gelegentlich auch am Spurenbild, insbesondere von Reifenspuren an der Bekleidung oder der Haut der betroffenen Person zu erkennen. Inwiefern eine genaue Abgrenzung gelingt, hängt von den Umständen ab. Die Feststellung, es handele sich dabei um dreimaliges Überrollen, scheint – insbesondere ad hoc am Fundort – eher gewagt und wird auch in einer Obduktion nicht zwingend festzustellen sein.
Der Gerichtsmediziner konstatiert nach der Obduktion, dass das Opfer mit voller Absicht getötet, vorwärts und rückwärts überfahren wurde und auch nicht sofort tot war. Wie lässt sich das erkennen?
Bei multiplen Verletzungen kann der Rechtsmediziner feststellen, ob diese vital (noch zu Lebzeiten) oder avital (das Opfer war bereits tot, als es überfahren wurde) zugefügt worden sind. Vitale Verletzungen erkennt man beispielsweise daran, dass sie eingeblutet sind. Weitere Hinweise können das Einatmen von Blut sein, was bei schweren Kopfverletzungen auftreten kann oder das Verschleppen von Gewebeteilen über die Blutbahn in die Lunge (Fett- oder Knochenmarksembolie). Ob, bzw. dass ein Überrollen vorsätzlich stattgefunden hat, kann sich allenfalls aus dem Verletzungsbild ergeben, der Nachweis dürfte allerdings meist schwierig sein.
An der Leiche werden Farbspuren gefunden, die keinem Standard-Autolack zugeordnet werden können. Wie lässt sich das so schnell feststellen?
Dafür gibt es an den Landeskriminalämtern Experten für nahezu alles. Lackpartikel können mikroskopisch untersucht werden und Autolacke sind etwas ganz Besonderes, aber das sollte man die tatsächlichen Experten fragen.
Anhand der Farbpartikel stellt die Kriminaltechnik eine Verbindung zu weiteren Unfall- bzw. Mordtoten her. Wie funktioniert das?
Auch hier verweisen wir wieder auf die Experten der Landeskriminalämter. Wenn bei anderen Fällen ähnliche Partikel gefunden wurden und dies z. B. in einer Datenbank notiert wurde, kann man auf solche Befunde zurückgreifen.
Im später aufgefundenen Tat-Auto finden sich DNA-Spuren, die sofort dem Verdächtigen zugeordnet werden. Wie realistisch ist das?
Das erschien uns jetzt etwas sehr schnell. Aufgrund der Vorgeschichte kann man davon ausgehen, dass der Tatverdächtige möglicherweise bereits mit seinem genetischen Muster in einer Datenbank vorliegt. Dies würde natürlich eine derartige Zuordnung/Überprüfung beschleunigen. Allerdings fehlt so oder so ja noch die Untersuchung der Spuren am Auto. Die müssen erst von der Spurensicherung asserviert und dann in das zu untersuchende Labor gebracht werden. Dort findet die Aufarbeitung statt, die Analyse und der Vergleich. Und dann das Endergebnis am frühen Morgen? Sehr sehr sportlich …
Während einer Untersuchung findet die Kripo einen Beutel mit Blut, einem Fingernagel, einem Zahn und anderen Gewebeteilen. Der Gerichtsmediziner stellt bei einigen Sachen eine fortgeschrittene Verwesung fest. Das Blut ist aber noch flüssig und rot. Kann das so sein?
In dem Beutel könnte sich theoretisch Heparin oder EDTA befinden, ein sogenannter Blutverdünner. Diese sorgen auch bei normalen Blutentnahmen dafür, dass das Blut flüssig bleibt und sich länger hält. Allerdings hat auch das seine Grenzen. Vielleicht aber wurde ja frisches Blut hinzugefügt? Es stellt sich sowieso die Frage, woher die verhältnismäßig hohe Blutmenge in dem Beutel stammt, wenn sich im Inneren Zähne, Fingernägel und kleine Gewebestücke befinden.
Wie beurteilen Sie insgesamt den Bremer Tatort „Nachtsicht“ aus forensischer und rechtsmedizinischer Sicht?
Uns war eindeutig der Rechtsmediziner zu zart besaitet. Allein schon die Reaktion bei dem ersten Überfahrenen erschien zu mitgenommen. Dr. Katzmann ist ja nicht mehr der Jüngste, da kann man unterstellen, dass er im Laufe seiner Tätigkeit schon häufiger Ähnliches oder Schlimmeres gesehen hat. Gleiches gilt für die Szene im Sektionssaal. Eigentlich gibt es nichts Ekelhaftes, was ein Rechtsmediziner noch nicht gerochen hat. Da sollte ihn so ein Beutelchen nicht umhauen.
Ärgerlich war die Geschichte mit dem Nachtsichtgerät. Einerseits ist man in Bremen in der Lage innerhalb kürzester Zeit DNA-Spuren aus einem Auto dem Tatverdächtigen zuzuordnen – und hier reden wir nur von Hautabrieben, die nicht immer leicht zu untersuchen sind, andererseits kommt niemand auf die Idee, das dem Werkstattbesitzer untergeschobene Nachtsichtgerät molekulargenetisch seinem Träger zuzuordnen. Der Täter hat dieses Teil stundenlang getragen, da müssen Unmengen wunderbar typisierbarer DNA dran kleben.
Wiederholungen
Noch bis 11.04.2017 zeigt Das Erste den Tatort „Nachtsicht“ täglich von 20 bis 6 Uhr (Jugendschutz) in seiner Mediathek http://mediathek.daserste.de.
Wer den Tatort auch zu anderen Zeiten gucken möchte, kann dies seit Neuestem mit der Tatort-App (Apple und Android).
Der Bremer Tatort
Seit 20 Jahren geht Hauptkommissarin Inga Lürsen (Sabine Postel) in Bremen auf Verbrecherjagd – bislang in 34 Fällen. Nachdem sie anfangs oft impulsiv aufklärte, denkt sie inzwischen strategischer, kämpft aber immer hartnäckig für die gute Sache. 2001 gesellte sich Kommissar Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) an ihre Seite. Er übernimmt den Actionpart und darf den Humorigen geben. Vor wenigen Wochen kündigten Postel und Mommsen an, in Bälde den Ruhestand anzutreten.
Zu den Nebenfiguren mit wichtiger Funktion gehört auch Rechtsmediziner Dr. Katzmann. Nicht so cool wie Dr. Roth in Köln oder so überheblich wie Prof. Boerne aus Münster wirkt er insgesamt sehr handfest. In der Regel hilft er durch solide handwerkliche Arbeit die Fälle aufzuklären.