Als langjährig diagnostisch und auch therapeutisch tätiger Hämatologe interessierten Dr. Holger Hauspurg von der HPH beim ASH 2017 in Atlanta neben Neuerungen in der Diagnostik auch neue therapeutische Entwicklungen. Hier ist sein ASH-Report.
Neue Therapien sind überwiegend zielgerichtete Therapien.
Die Anwendung neuer therapeutischer Ansätze setzt voraus, dass die Zielstruktur generell auf oder in den Zellen einer bestimmten Entität gefunden werden kann und dass sie in ausreichender Expressionsstärke nachgewiesen werden kann.
Neue Therapien stellen also auch neue Herausforderungen für die Diagnostik dar, die sich anpassen muss und entsprechende, für eine Entität mitunter nicht als für ihre diagnostische Einordnung entscheidende Merkmale klar erkennen und ggf. quantifizieren können muss.
Beim Plasmazellmyelom bietet sich als Angriffsziel das stark exprimierte CD38 an. Der CD38- Antikörper Daratumumab, bereits als Kombinations- und Monotherapie zugelassen zur Behandlung des rezidivierten/refraktären Myeloms, wurde in der randomisierten Phase III-Studie ALCYONE mit der bekannten Erstlinienkombination Bortezomib/Melphalan/Prednisolon (VMP) für Patienten, die für eine autologe Stammzelltransplantation nicht geeignet sind, kombiniert. Dadurch konnte eine signifikante Verbesserung des progressionsfreien Überlebens erreicht werden (Mateos et al., LBA-4, NEJM Dec 12, 2017).
Eine weitere interessante Zielstruktur in der Myelomtherapie ist BCMA (B-Cell Maturation Antigen, CD269), das auf (reifen) B-Zell-Neoplasien und besonders auf Myelomzellen gefunden werden kann (Abstract 2755). Das Antikörper-Drug-Konjugat GSK2857916 ist ein mit einem Zytostatikum gekoppelter BCMA-Antikörper, der in einer Phase II-Studie bei sehr umfangreich vorbehandelten Myelom-Patienten sehr gute Ansprechraten zeigte (Abstract 741). Außerdem wurden erste vielversprechende Daten zur Myelom Behandlung mit gegen BCMA gerichteten CAR-T-Zellen vorgestellt (Abstract 740).
Für die Myelom-Diagnostik ergeben sich durch diese Entwicklungen neue Aspekte. Zum einen kann es notwendig werden, vor dem Einsatz der sehr teuren Medikamente die Zielstruktur nachzuweisen. Zum anderen wird die Detektion von Myelomzellen möglicherweise erschwert. Daratumumab ist unabhängig von der CD38- Expression der Myelomzellen zugelassen und bereits nach der ersten Verabreichung sinkt die CD38-Expression deutlich (Donk et al., Blood 2018). Um nach einer Daratumumab-Therapie noch Myelomzellen mittels CD38 nachzuweisen, müssen diagnostische Antikörper gewählt werden, die nicht am selben Epitop wie der therapeutische Antikörper binden.
Da in der FACS-Analyse Myelomzellen über die Expression von CD138 in Kombination mit der starken CD38-Expression identifiziert werden, kann insbesondere die durchflusszytometrische Verlaufskontrolle erschwert sein. Eine FACS- Analyse, die Myelomzellen zusätzlich über die BCMA- Expression definiert, könnte diese Lücke schließen (Abstract 4395).
Ein weiteres neueres Antikörper-Drug-Konjugat ist Inotuzumab. Das Medikament ist zur Behandlung der refraktären/rezidivierten CD22 positiven precursor B-ALL zugelassen. In einer Nachauswertung der zulassungsrelevanten INO-VATE Studie konnte gezeigt werden, dass der Therapieerfolg möglicherweise vom Anteil der CD22 positiven Leukämiezellen abhängt, bei Patienten mit einem im FACS gemessenen Anteil von 90% oder mehr CD22 positiven Zellen waren progressionsfreies Überleben, Dauer des Ansprechens und Gesamtüberleben besser (Abstract 1272).
CD123 ist eine interessante Zielstruktur zur Behandlung von Myeloischen Neoplasien. Insbesondere für SL-401, ein mit einem Diphtherie-Toxin gekoppelter CD123- Antikörper, wurden Phase I/II Studien zur Behandlung von AML (Abstract 2583) und MPN (Abstract 2908) vorgestellt.
Besonders beeindruckend waren die Ergebnisse einer Phase-II-Studie zur Behandlung der Neoplasie der blastären plasmazytoiden dentritischen Zellen, einer sehr seltenen Neoplasie, die sich durch eine kräftige CD123-Positivität auszeichnet und für die es bisher außer der allogenen Stammzelltransplantation keine effektive Therapie gab (Abstract 1298).
Neue Ergebnisse zur Behandlung der Akuten myeloischen Leukämie mit molekularen Veränderungen wurden vorgestellt. So gab es Daten zu den FLT3-Inhibitoren der 2. Generation Crenolanib (Abstract 566) für die Behandlung jüngerer Patienten und Quizartinib (Abstract 723) für die Therapie von älteren Patienten. Hier bleiben weitere klinische Daten abzuwarten.
Spannend ist auch der FLT3-Inhibitor FF-10101 (Abstract 2632), für den in vitro auch eine Aktivität gegen Zelllinien mit den FLT3-Resistenzmutationen D835Y und Y842C gezeigt werden konnte.
Für die molukulare Diagnostik der AML wird es zukünftig wahrscheinlich nicht nur darum gehen, eine FLT3- Mutation nachzuweisen, sondern ggf. auch Resistenzmutationen zu detektieren.
Die Therapie mit IDH-Inhibitoren zeigt Erfolge bei IDH-mutierten Akuten myeloischen Leukämien.
Enasidenib ist wirksam als Monotherapie bei älteren Patienten (Abstract 638), Enasidenib und Ivosidenib werden in Kombination mit Azacytidine getestet (Abstract 639).
Bemerkenswert und wichtig aus diagnostischer Perspektive ist, dass durch die IDH-Inhibitoren eine Ausdifferenzierung induziert wird. Die bei einer AML üblichen Kriterien des Therapieansprechens, sind deshalb zur Beurteilung einer AML-Therapie mit IDH-Inhibitoren ungeeignet. Insbesondere eine Blastenclearance am Therapietag 15 darf nicht erwartet werden. Auch 90 Tage nach Therapiebeginn gab es bei Patienten, die bis zu diesem Zeitpunkt eine stabile Erkrankung hatten, ein Ansprechen (Abstract 1299).
Die molekulare Diagnostik der myeloischen Neoplasien war ein vielbeachtetes Thema des Kongresses. Durch neue molekulare Diagnostik kann die Prognose von myeloischen Neoplasien immer besser eingeschätzt werden. Eine möglichst exakte prognostische Einschätzung ist essentiell für die Wahl der am besten geeigneten Therapie.
In der Arbeit der HOVON-SAKK Gruppe zur prospektiven MRD- Messung bei Patienten mit neu diagnostizierter AML mittels NGS (LBA-05) wurde gezeigt, dass die Persistenz von Mutationen ein unabhängiger Risikofaktor für ein Rezidiv und ein kürzeres Gesamtüberleben war. Das galt nicht für eine Persistenz der bei einer CHIP (Clonal hematopoiesis of indeterminate potential) am häufigsten nachweisbaren Mutationen DNMT3A, TET2 und ASXL1. Im Vergleich zu den üblichen Methoden der MRD-Messung bietet das NGS meines Erachtens den Vorteil, dass es standardisiert und zentrumsübergreifend angewendet werden kann.
Für die prognostische Einordnung des MDS stehen üblicherweise Scores wie IPSS und IPSS-R zur Verfügung. Patienten derselben IPSS- Risikogruppe können sehr unterschiedliche Krankheitsverläufe haben, was eine Über- oder Untertherapie zur Folge haben kann. Um das Risiko eines MDS besser einschätzen zu können, entwickelten Nazha et al. (Abstrakt 160) einen individuellen Risikoscore mittels NGS und maschinellem Lernen.
Die für die Prognose wichtigsten Einflussfaktoren waren in nach ihrer Wichtigkeit in Absteigender Reihenfolge genannt die Zytogenetische Risikogruppe nach IPSS-R, der Blastengehalt in %, die Diagnose nach WHO 2008, Thrombozytenzahl, Leukozytenzahl, Hb-Wert, TP53, RUNX1, Neutrophilenzahl, STAG2, SRSF2, NPM1, sekundäres versus de novo MDS, Alter, PHF6, IDH1, EZH2, und SF3B1.
Der Score wurde an einer Patientenkohorte validiert und war bzgl. einer AML-Transformation und des Gesamtüberlebens exakter als alle gängigen Scores. Ein Internetbasiertes Tool zur Bestimmung des Scores soll bald zur Verfügung stehen.
Die Prognose von Myelofibrosen wird mit Hilfe von Scores wie IPSS und DIPSS-plus eingeschätzt.
Diese können nicht gut zwischen der in der WHO-Klassifikation 2016 neu eingeführten präfibrotischen Primären Myelofibrose (prä- PMF) und einer Primären Myelofibrose (PMF) trennen.
Vannucchi et al. (Abstrakt 200) entwickelten für jüngere Patienten (< 70 Jahre) mit einer prä-PMF oder PMF den MIPSS70, der neben den im IPSS berücksichtigten Faktoren Mutationen von JAK2, CALR, MPL, ASXL1, SRSF2, EZH2 und IDH1/2 einbezieht. Es konnten so drei Risikogruppen definiert werden, wobei Patienten in der Hochrisikogruppe ein medianes Überleben von zwei Jahren hatten.
Der MIPSS70-plus bezieht zusätzlich zytogenetische Veränderungen ein und trennt vier Risikogruppen voneinander, wobei hier die Hochrisiko-Gruppe ein medianes Überleben von drei Jahren hatte.
Der MIPSS70 ist ein gutes Instrument, um für jüngere Patienten mit einer prä-PMF oder PMF die Indikation zur allogenen Transplantation zu stellen. Die klinischen Parameter sind einfach zu bestimmen, die Mutationsanalyse ist leicht mittels Next Generation Sequencing durchführbar.