Tatort „Déjà-vu“ im rechtsmedizinischen und forensischen Faktencheck

Tatort: Déjà-vu

© Bild: MDR/Wiedemann & Berg/Daniela Incoronato

Dresden stöhnt unter einer Hitzewelle. Da verschwindet der neunjährige Rico. Als bald darauf die Leiche des Jungen in eine Sporttasche gepresst am Elbufer aufgefunden wird, kochen die Gefühle aller Beteiligten hoch. Die Bürger sind aufgebracht, die Medien verschärfen die angstvolle Stimmung und Kripo-Chef Schnabel spürt, wie ihn ein alter ungelöster Fall ihn einholt. Vor über drei Jahren verschwand ein gleichaltriger Junge spurlos. Durch einen anonymen Anruf gerät Ricos Schwimmlehrer unter Pädophilie-Verdacht. Die Kommissarinnen Sieland und Gorniak können Ricos Stiefvater nur mit Mühe davon abhalten, den Lehrer zu töten. Bei den Ermittlungen stellt sich immer wieder die Frage, ob die beiden Fälle miteinander in Verbindung stehen.

Das Thema der fünften Folge des Dresden Tatorts lässt kaum jemand unberührt. Doch wie steht es um die rechtsmedizinischen und forensischen Fakten im Tatort „Déjá-vu“? Pathoblog.de hat bei Dr. Nicole von Wurmb-Schwark und Dr. Thorsten Schwark nachgefragt, Spurensachverständige und Facharzt für Rechtsmedizin von ForGen – Forensische Genetik und Rechtsmedizin am Institut für Hämatopathologie in Hamburg. Sie erläutern die Fakten.

Die Kommissarinnen und auch Rechtsmediziner Lammert zeigen sich sichtlich mitgenommen am Tatort. Ist es überhaupt möglich als Profi bei Mord und Missbrauch an einem Kind unberührt zu bleiben?
Natürlich gibt es, insbesondere bei der Arbeit am Fund-/Tatort und wenn es sich um besonders grausame Tatumstände und/oder Kinder handelt, immer wieder auch Momente, in denen man seine Emotionen nur mühsam unterdrücken kann, dennoch gehört es zum professionellen Verhalten, eben dies zu tun. In einigen Institutionen (insbesondere auch bei der Polizei) gibt es Gruppen- oder Einzelsupervisionen, in denen solche belastenden Situationen aufgearbeitet werden können. Am Tatort oder bei der Obduktion haben emotionale Ausbrüche nichts zu suchen, Sprüche wie: „Ich will, dass Sie das Schwein kriegen…“, haben wir jedenfalls noch nie im beruflichen Kontext gehört oder gesagt. Und dass sich jemand, der professionell mit Verstorbenen und Tatorten zu tun hat, bei einer Tatortbesichtigung übergibt, halte ich auch für übertrieben.

Rechtsmediziner Lammert äußert noch am Tatort den Verdacht, der Junge sei betäubt und erstickt worden. Worauf kann er eine solche Vermutung stützen?
Das ist eine eher spekulative Aussage. Eine Betäubung oder Vergiftung ist von außen und ohne weiterführende chemisch-toxikologische Untersuchungen meist nicht so ohne weiteres zu erkennen. Manchmal können indirekte Hinweise vorliegen, wie z. B. Einstichverletzungen. Ersticken ist ein weitreichender Begriff. Erfolgte eine Strangulation, sind häufig entsprechende Verletzungen an der Haut des Halses und sogenannte Stauungsblutungen zu sehen. Ein Ersticken durch weiche Bedeckung (wie z. B. mit einem Kissen) hingegen kann manchmal kaum erkennbar sein. Vielleicht hat der Kollege bei der Leichenbesichtigung etwas gesehen, was dem Zuschauer verborgen geblieben ist.

Nach der Obduktion äußert Lammert gegenüber Kommissarin Sieland, Rico sei aufgrund eines Schlafmittels „schon nicht mehr bei Bewusstsein“ gewesen als er in die Sporttasche gepackt wurde. Wie kann er sich da so sicher sein?
Möglicherweise hat Herr Lammert schon einen toxikologischen Befund bekommen und bei dieser Analyse wurden Benzodiazepine oder ähnliche Schlaf- und/oder Beruhigungsmittel in ausreichender Konzentration gefunden. Dann ließe sich daraus ableiten, dass der Junge zum Zeitpunkt des Todes nicht mehr handlungsfähig gewesen sein kann. Außerdem lag er ja wirklich so in der Tasche, als hätte er sich gar nicht mehr bewegt, geschweige denn, versucht, aus der Tasche herauszukommen.

Er mutmaßt auch, Rico hätte dieses Mittel vermutlich freiwillig zu sich genommen. Wie kann er das vermuten?
Dr. Lammert sagt, dass Rico das Mittel möglicherweise mit Cola zu sich genommen hat. Das wäre wenigstens eine Erklärung. Woher er das so genau weiß, sei einmal dahingestellt. Die Cola im Mageninhalt zu identifizieren, wäre jedenfalls nicht ganz so einfach. Andererseits ist es durchaus plausibel anzunehmen, dass ein Beruhigungsmittel unwissentlich mit der Nahrung oder Getränken aufgenommen wird.

Lammert spricht bei der Todesursache von „atypischem Ertrinken“. Was bedeutet das?
Atypisches Ertrinken ist ein Tod im Wasser, bei dem Befunde, die für Ertrinken typisch sind, ganz oder teilweise fehlen können. Wenn beispielsweise eine tiefe Bewusstlosigkeit infolge einer Intoxikation vorlag, ist es durchaus nachvollziehbar, dass von einem atypischen Ertrinken gesprochen wird. Allerdings ist die Nomenklatur hier etwas uneinheitlich.

Der Verdacht liegt nah, dass Rico nicht vergewaltigt, aber sexuell missbraucht wurde. Welche Methoden stehen der Rechtsmedizin zur Verfügung, um einen solchen Verdacht zu erhärten?
Im Rahmen der Obduktion wird nach Verletzungen gesucht, die typisch für eine Vergewaltigung sind. Zusätzlich werden Abstriche aus allen Körperöffnungen entnommen. An diesen werden dann Tests auf das Vorhandensein von Sperma durchgeführt. Wird bei einem Kind im Mund Sperma nachgewiesen, ist das eine tatrelevante Spur, weil es kaum eine „normale“ Erklärung gäbe, wie Sperma ohne sexuellen Missbrauch in den Mund eines Kindes gelangen kann.

Beim Meeting mit dem Ermittler-Team drückt Sieland die Hoffnung auf einen Treffer bei der DNA-Analyse aus. Was meint sie damit genau?
Aus den Spermaspuren m Mund des Kindes wird ein genetisches Merkmalsmuster des Täters/Spermabesitzers erstellt. Dieses wird dann in die bundesweite Datenbank eingegeben. Dort sind u.a. die Daten von verschiedensten Straftätern und Straftaten gespeichert. Der Computer gleicht die Daten aus der Spur mit diesen ab und sucht nach sogenannten Treffern. Ein vollständiges Merkmalsmuster ist so individuell, dass rein rechnerisch kein anderer Mensch auf dieser Welt dieses ebenfalls besitzt (Ausnahme sind natürlich eineiige Mehrlinge). Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass bei einem Treffer tatsächlich der Richtige gefunden wurde.

Leiter Schnabel bemängelt, der deutschen Polizei seien gesetzlich Methoden verwehrt, die in den USA oder den Niederlanden erlaubt seien. So ließe sich anhand der beim Ermordeten gefundenen DNA z. B. die Augenfarbe des Täters bestimmen. Was genau meint er damit und wie sicher sind solche Methoden?
Die normale forensisch-genetische Analyse untersucht, mit Ausnahme des Geschlechtsnachweises, nur nicht-codierende Merkmale. D.h., solche Merkmale, die nichts über das Aussehen, die Körpergröße, die Herkunft und andere Angaben verraten.
Mittlerweile aber gibt es Verfahren, die Marker nachweisen können, mit denen sehr gut Charakteristika wie z.B. Haar- oder Augenfarbe oder die Herkunft herausgefunden werden können. Und natürlich wäre es für die Polizei eine große Hilfe, wenn Sie wüsste, dass der mutmaßliche Täter blond und blauäugig ist.

Wie beurteilen Sie insgesamt den Tatort „Déjà-vu“ aus rechtsmedizinischer und forensischer Sicht?
Die u. g. Fehler sind so dermaßen gravierend und auch völlig unnötig. Es ist unglaublich, dass in einem Format wie dem Tatort so wenig recherchiert wird … da fragt man sich wirklich, ob die sich nicht beraten lassen. Und wenn tatsächlich nicht, WARUM nicht?
Abgesehen davon, war es doch arg plakativ und typisch. Der arme Schwimmtrainer mit der Hexenjagd und daneben der wirkliche Mörder, der von Anfang an jedes Klischee bedient hat, mit der ebenso typischen Freundin … das war langweilig.

Der größte Fehler aus rechtsmedizinischer Sicht

Leider zu viele….

An jedem Tatort und Fundort müssen Spuren gesichert werden und die Polizei lässt einfach den angeblichen Stiefvater zu dem toten Jungen. Zumal der Mann sich ja „ausweist“, indem er ein Foto zeigt, auf dem er mit dem Jungen zu sehen ist … in doppelter Sicht nicht sehr professionell. Niemand und schon gar nicht die Eltern würden zu diesem Zeitpunkt direkt an diesen unschönen Leichenfundort gelassen, wo der Junge in der Tasche eingequetscht liegt.

Der Junge liegt zusammengefaltet in der Tasche und alle sind tief betroffen. Wer hat den sicheren Tod des Kindes festgestellt? Im Normalfall muss immer zuerst geklärt werden, ob jemand tatsächlich tot ist. Das lässt sich durch sichere Todeszeichen feststellen, wie z. B. die Leichenstarre. Ansonsten muss sofort reanimiert werden. Gerade Kinder können erstaunlich lange unter Wasser überleben. Da der Junge völlig unberührt in der Tasche erscheint, ist das etwas seltsam.

Der Schwimmtrainer wird vom Labor ausgeschlossen, weil er die falsche Blutgruppe hat. Das ist ganz fürchterlich und ein unglaublicher Fauxpas. So etwas wird heute nicht mehr gemacht. Stattdessen wird sofort eine vollständige, genetische Analyse durchgeführt. Außerdem wäre es tatsächlich schwieriger, aus Spermazellen an einem Abstrich die Blutgruppe nachzuweisen als eine genetischen Fingerabdruck zu erstellen. Von der limitierten Aussagekraft der Blutgruppen ganz zu schweigen.

Auch erscheint es doch sehr seltsam, dass die Beamten alleine, also ohne Schutzpolizei im Voraus oder SEK zu dem Tatverdächtigen rasen und erst Verstärkung rufen als sie schon da sind.

Wiederholungen

Das Erste zeigt „Déjà-vu“ noch bis 27.02.2018 in seiner Mediathek http://mediathek.daserste.de oder via App auf dem Smartphone.

Der Tatort aus Dresden

Seit 2016 ermittelt in und um Dresden das erste rein weibliche Tatort-Team. Die beiden Oberkommissarinnen Henni Sieland und Karin Gorniak könnten unterschiedlicher nicht sein: Sieland lässt ihren Emotionen freien Lauf – zumindest auf der Arbeit. Privat lebt sie in einer komplizierten Partnerschaft. Gorniak setzt hingegen auf Verstand und Logik. Privat liefert sie sich manches Gefecht mit ihrem pubertierenden Sohn. Die charakterlichen Unterschiede fördern die Ermittlungen, führen aber manchmal auch zu Konflikten. Zu dem ungleichen Team gesellt sich der konservative Leiter des Kommissariats Schnabel. Stets auf Höflichkeit bedacht, tritt ebenfalls regelmäßig der leicht skurrile Rechtsmediziner Lammert an den Obduktionstisch.