Münsteraner Tatort „Fangschuss“ im rechtsmedizinischen Faktencheck

Tatort Fangschuss

© WDR/Thomas Kost

Wie steht es um die rechtsmedizinischen und forensischen Fakten im Tatort „Fangschuss“, in dem Boerne auf die Jagd geht und Thiel mit einer früheren Affäre konfrontiert wird. Dr. Nicole von Wurmb-Schwark, Spurensachverständige und Dr. Thorsten Schwark, Facharzt für Rechtsmedizin, von ForGen – Forensische Genetik und Rechtsmedizin am Institut für Hämatopathologie in Hamburg, erläutern die Fakten.

Eine junge Frau wird beerdigt. Ein junger Mann stürzt sich vor den Augen seiner Ex-Freundin vom Balkon. Und Kommissar Thiel bekommt Besuch von einer weiteren jungen Frau, Laila. Sie glaubt, seine Tochter aus einer kurzen Affäre zu sein. Eine weitere Leiche wird gefunden. Der Journalist Jens Offermann wurde regelrecht hingerichtet. Was Thiel nicht weiß, Laila war kurz vor dessen Ermordung noch bei ihm. Überhaupt scheint sie mehr zu wissen, als sie zugibt. Rechtsmediziner Professor Boerne interessiert sich derweil mehr für seine bevorstehende Jagdprüfung als für die die rechtsmedizinischen Feinheiten des Mordfalls. Doch schließlich kann er sich dem Sog der Ermittlungen nicht mehr entziehen.

Thiel und Boerne sind skeptisch, ob es sich bei dem Balkonsturz um einen Suizid handelt. Wie lässt sich ein Selbstmord rechtsmedizinisch von einem Mord unterscheiden?
Häufig ergibt sich ein Hinweis auf ein Selbstbeibringen aus der Lage, der Gruppierung, der Schwere, der Dynamik und der Art von Verletzungen. So sprechen z. B. zahlreiche parallele Hautanritzungen an der linken Unterarmbeugeseite eher für eine selbst beigefügte Verletzung, wohingegen Einstichlücken am Rücken dafür eher untypisch sind. Bei einem Sturz aus großer Höhe kann es hingegen schwierig sein, zwischen Selbst- und Fremdtötung zu differenzieren. Die Sturzverletzungen können unter Umständen etwaige Angriffspuren überlagern. Auffallend könnte etwa sein, wenn das Opfer schon vor dem Sturz tot war. Erkennbar ist das beispielsweise daran, dass die Sturzverletzungen nicht vital (eingeblutet) erscheinen.

Thiel konstatiert am Tatort des ermordeten Journalisten, dieser sei klassisch hingerichtet worden. Wie kommt er darauf?
Ob eine Schussverletzung selbst oder fremd beigebracht wurde, kann teilweise nur durch den Einsatz kriminaltechnischer Methoden differenziert werden. Wenn allerdings am Tatort die Tatwaffe fehlt und es sich um einen absoluten Nahschuss handelt, liegt diese Beschreibung nahe.

Boerne spricht von einem Tod durch aufgesetzten Schuss. Was bedeutet das?
Bei einem aufgesetzten Schuss („absoluter Nahschuss“) wird die Mündung der Waffe direkt auf der Haut platziert. Durch den Schuss können Pulver- und Schmauchbestandteile sowie Gas nicht zu den Seiten hin entweichen. Sie gelangen durch die Einschusslücke unter die Haut und führen – insbesondere bei Kopfschüssen – zur Bildung einer sogenannten Schmauchhöhle. Meist platzt die Haut durch den Druck auf. Darüber hinaus hinterlässt die Waffe an der Haut häufig einen Mündungsabdruck.

Nach der Obduktion der Leiche, diagnostiziert Boerne, der Journalist sei Alkoholiker gewesen. Woran kann er das erkennen?
Übermäßiger oder chronischer Konsum von Alkohol führt häufig zu typischen Organveränderungen, die neben dem Herz (sogenannte „Cardiomyopathie“) und der Bauchspeicheldrüse (Entzündung) u. a. auch die Leber betreffen; hier kommt es zunächst zu einer (umkehrbaren) Verfettung – das Organ ist groß, teigig und gelblich –, später dann zu einem bindegewebigen Umbau des Gewebes (Fibrose) und schließlich zur Leberzirrhose. Die Leber ist dann klein, fest und knotig. Boerne äußert, die Leber sei „sehr klein“ gewesen – das könnte also auf eine Zirrhose hindeuten. Wenn das Organ tatsächlich in die präsentierte Nierenschale gepasst hat, wäre diese Aussage auch mehr als zutreffend; eine gesunde Leber wiegt normalerweise ca. 1,2 bis 1,6 Kilo.

Boerne findet Baumwollspuren in der Lunge des Sturz-Opfers und vermutet, ihm sei ein Wattebausch vorgehalten worden. Lässt sich das so genau zuordnen?
Makroskopisch, also bei der Obduktion, lassen sich derartige Befunde nicht unbedingt erheben, außer es werden größere Wattestückchen eingeatmet. Mikroskopisch könnten auch kleine eingeatmete Fremdkörper in den Atemwegen nachgewiesen werden und auf eine solche Atemwegsverlegung hinweisen.

Ein DNA-Test beweist, dass Laila und Thiel nicht Vater und Tochter sind. Wie funktioniert ein solcher Test?
Thiel nimmt hier Haare der jungen Frau von seiner Haarbürste und lässt diese untersuchen. Theoretisch ist das möglich. Insbesondere an frisch ausgerissenen oder ausgebürsteten Haare finden sich häufig noch Haarwurzeln mit ausreichender DNA. Haare, die „freiwillig“ vom Kopf fallen, enthalten dagegen meist nur noch stark reduzierte Wurzelanteile, in denen nur sehr wenig bis gar keine verwertbare DNA mehr vorhanden ist.

Rein technisch/inhaltlich funktioniert das Ganze so: Das genetische Profil von Thiel ist ziemlich sicher sowieso bekannt, da er als Ermittler direkt an den Tatorten ist und diese daher auch ungewollt kontaminieren kann. Kennt man seine DNA, kann man eine mögliche Verunreinigung leicht zuordnen. Aus den Haaren von Laila wird eine genetische Analyse mit denselben Genorten wie bei Thiel durchgeführt. Pro Genort besitzt der Mensch zwei Merkmale, eines kommt von der Mutter, das andere hat er vom Vater geerbt. Der Vaterschaftstest funktioniert also ganz einfach: Bei Laila wird geguckt, welche Merkmale sie besitzt. Pro Genort muss sich mindestens eines der beiden Merkmale auch bei Thiel finden, dann kommt er als Erzeuger in Frage und das Ganze kann statistisch berechnet werden. Für einen Vaterschaftstest werden minimal 15 Genorte untersucht. Zeigen sich in mindestens vier dieser Genorte bei Laila Merkmale, die Thiel nicht besitzt, kommt er als biologischer Vater nicht in Frage. So wird es hier der Fall gewesen sein.

Boernes rechte Hand, Silke Haller, führt den Vaterschaftstest als Freundschaftsdienst für Thiel durch, ohne Wissen ihres Chefs und Lailas, ist das erlaubt?
Schwierig ist daran tatsächlich, dass sich mit dieser Untersuchung sowohl Thiel als auch Frau Haller strafbar gemacht haben. In Deutschland sind heimliche Vaterschaftstests verboten. Alle Beteiligten müssen im Vorfeld von der Untersuchung wissen und auch bezüglich der Analysen, der Auswertung, der Sicherheit und der Risiken aufgeklärt werden. Anschließend bestätigen sie dies schriftlich. So steht es im Gendiagnostikgesetz. Dazu kommt, normalerweise würden auch keine Haare aus einer Haarbürste genutzt werden. Denn nur ganz selten lassen sie sich sicher zuordnen. Hier liegt der Fall mit Thiels eigener Bürste und der blauen Haarpracht von Laila natürlich etwas anders. Dennoch dürfen in Deutschland nur Proben mit gesicherter Herkunft untersucht werden. Deswegen darf auch niemand sich für solche Zwecke selbst eine Mundschleimhautprobe entnehmen und zwecks Analyse einschicken. Dazu muss ein Arzt bzw. Sachverständiger aufgesucht werden, der neben der Aufklärung eine Identitätssicherung durchführt.

Wie beurteilen Sie insgesamt den Tatort „Fangschuss“ aus rechtsmedizinischer und forensischer Sicht?
Die rechtliche Problematik in Bezug auf den Vaterschaftstest haben wir bereits angesprochen. Als forensische Genetikerin ärgert es mich selbstverständlich regelmäßig, dass Boerne und seine Assistentin alles alleine können. Boerne ist z. B. der Lackprofi, wozu anderswo Spezialisten des LKA benötigt werden. Und die genetischen Analysen machen sie mal eben schnell selbst. Dabei hat jedes Institut für Rechtsmedizin mit genetischem Labor eine entsprechende Laborleitung, meist einen Naturwissenschaftler und keinen Arzt. Gleiches gilt für die Toxikologie, dafür gibt es spezielle Chemiker.

Wiederholungen

Das Erste zeigt „Fangschuss“ noch bis 2. Mai 2017 täglich von 20 bis 6 Uhr (Jugendschutz) in seiner Mediathek http://mediathek.daserste.de.

Wer den Tatort auch zu anderen Zeiten sehen möchte, kann dies mit der Tatort-App (Apple und Android).

Der Tatort aus Münster

2002 ging das ungleiche Paar Rechtsmediziner Prof. Boerne und Hauptkommissar Thiel zum ersten Mal auf Verbrecherjagd. Seitdem gehören die Krimis, die in der westfälischen Universitätsstadt spielen, zu den beliebtesten und quotenträchtigsten der Reihe. Boerne, der geniale aber ziemlich eingebildete Professor, und der aufbrausend herzliche Thiel könnten kaum gegensätzlicher sein. Das starke Ensemble komplettieren drei Frauen. Silke Haller, Boernes engste Mitarbeiterin, weiß dessen Witze über sie als versteckte Anerkennung zu deuten. Die patente Nadeshda Krusenstern ergänzt Thiel als Assistentin. Die ehemals kettenrauchende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm legt Thiel mit Reibeisenstimme gern Knüppel in den Weg.