Tatort „Gott ist auch nur ein Mensch“ im rechtsmedizinischen und forensischen Faktencheck

Tatort: Gott ist auch nur ein Mensch

© Bild: WDR/Wolfgang Ennenbach

Alle zehn Jahre blickt die internationale Kunstszene nach Münster zu den Skulptur-Tagen. Kurz vor der diesjährigen Eröffnung entpuppt sich die Clown-Skulptur am Rathaus als Leiche eines ehemaligen Stadtrats. Der war wegen Kindesmissbrauchs angeklagt, aber freigesprochen worden. Bei der Obduktion finden die Rechtsmediziner Beweise, die auf ein Fehlurteil hindeuten. Während Professor Boerne als Meister-Schüler des exzentrischen Künstlers G.O.D. einen Ausgleich vom Obduktionstisch sucht, ermitteln Kommissar Thiel und Assistentin Krusenstern in der Kunstszene. Bald wird eine zweite Skulpturen-Leiche gefunden. Haben es Polizei und Rechtsmediziner mit einem kunstinspirierten Serienmörder zu tun?

Über Kunst lässt sich sicher streiten. Doch wie steht es um die rechtsmedizinischen und forensischen Fakten im Tatort „Gott ist auch nur ein Mensch“? Pathoblog.de hat bei Dr. Nicole von Wurmb-Schwark und Dr. Thorsten Schwark nachgefragt, Spurensachverständige und Facharzt für Rechtsmedizin von ForGen – Forensische Genetik und Rechtsmedizin am Institut für Hämatopathologie in Hamburg. Sie erläutern die Fakten.

Kurz unter dem Herz des toten Stadtrats findet Boerne bei der Obduktion einen aufgesetzten Schuss mit Stanzmarke. Was bedeutet das genau?
Bei einer Stanzmarke handelt es sich um den Abdruck einer Schusswaffe auf der Haut. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die Mündung der Waffe zum Zeitpunkt der Schussabgabe Kontakt mit der getroffenen Person hatte. Die Stanzmarke ist mithin ein Kriterium für die Diagnose „aufgesetzter Schuss“ bzw. „absoluter Nahschuss“. Dies gilt allerdings nicht, wenn die betroffene Hautregion bekleidet war.

Boerne entdeckt so genannte Exkoriationen am Handgelenk. Daraus schließt er, der Tote sei „wahrscheinlich gefesselt“ gewesen. Wie kommt er darauf?
Exkoriation ist ein medizinischer Begriff für eine – meist oberflächliche – Hautschürfung. Bei einer Fesselung kann es zu einer tangentialen (kurvenförmigen, Anmerkung der Redaktion) Gewalteinwirkung durch das Fesselwerkzeug und in der Folge zu Exkoriationen kommen. Bei einer Leiche treten sie zumeist als vertrocknete Hautareale mit randständigen Hautfähnchen auf. Der Begriff ist in der Rechtsmedizin gängig. Allerdings trifft er zumeist nicht ganz zu, da es sich oft nur um oberflächliche Verletzungen der Oberhaut (Epidermis) handelt und die darunterliegende Lederhaut (Corium) nicht freigelegt wird.

Weiterhin findet der Rechtsmediziner einen Schnitt am Hals und Punktionen. Woran kann er erkennen, dass diese nach dem Tod (postmortal) zugefügt wurden?
Als wesentlichen Aspekt von Verletzungen im Rahmen der Obduktion stellen Rechtsmediziner immer auch fest, inwiefern eine Verletzung „vital“ – also zu Lebzeiten – entstanden ist. Die Einblutung ist dabei ein einfaches Kriterium zur Beurteilung: hat eine Verletzung geblutet, muss zum Zeitpunkt der Entstehung der Kreislauf (noch) funktioniert haben. Ergo handelt es sich um eine vitale Verletzung. Es gibt noch weitere diagnostische Kriterien – teils grobsichtiger (z. B. Einatmung von Blut o. ä.), teils mikroskopischer (z. B. Fettembolie nach Knochenbrüchen) Natur –, die ja nach Umstand bedeutend sein können.

Die Leichen wurden aufwändig „einbalsamiert“. Beim zweiten Toten konstatiert Boerne, der Täter sei darin kein Profi. Sonst hätte er die Livores wegmassiert. Was bedeutet das?
Livores sind die Totenflecken. Bei diesen handelt es sich um ein sogenanntes sicheres Todeszeichen (neben Totenstarre, Fäulnis/Verwesung, Hirntod und „mit dem Leben nicht zu vereinbarenden Verletzungen“). Totenflecke entstehen einige Zeit nach dem Kreislaufstillstand, weil das Blut absackt. Sie sind demnach in den abhängigen Körperbereichen zu beobachten. Anfänglich können sie umlagert bzw. weggedrückt werden. Inwiefern das „Wegmassieren“ im Rahmen thanatopraktischer Maßnahmen, zu denen auch das Einbalsamieren gehört, typisch ist, können wir allerdings nicht sicher beurteilen.

Boerne kann aufgrund der Einbalsamierung den Todeszeitpunkt nicht feststellen. Später entlastet Krusenstern eine der Verdächtigen, weil diese während des Mordzeitpunkts eine Liveperformance nach Japan übertragen hat. Wie kann das sein?
Die Schätzung der Todeszeit beruht im Wesentlichen auf der Beurteilung der Leichenerscheinungen (Totenflecken etc.) und sogenannter supravitaler Reaktionen (z. B. Zucken der Muskulatur bei elektrischer Reizung). Zu einem späteren Zeitpunkt werden z. B. Fäulniserscheinungen und die Leichenbesiedlung durch Insekten (forensische Entomologie) beurteilt. Beim Einbalsamieren werden die Fäulnisprozesse im Leichnam gestoppt oder zumindest stark verlangsamt. Das erschwert es, die Todeszeit zu schätzen.
Dass Krusenstern die Verdächtige entlastet, hat wohl eher einen kriminalistischen Hintergrund. Die Todeszeit kann ja auch kriminalistisch (z. B. durch Zeugen, Handybenutzung etc.) eingegrenzt werden.

Anhand der Einschusswinkel identifizieren Boerne und Haller den Täter als Rechtshänder. Wie kommen sie darauf und könnte nicht ein Linkshänder den Schuss mit der anderen vortäuschen?
Eine sichere Aussage bezüglich der Händigkeit des Täters ist sicherlich nicht möglich, es können allenfalls Anhaltspunkte für eine Schussabgabe mit der rechten oder linken Hand gefunden werden. Und natürlich kann auch ein Rechtshänder einen Schuss mit links abgeben. Er trifft dann vielleicht nur etwas schlechter.

Die letzte Leiche entdeckt Thiel, indem er die Aschereste des Opfers freilegt. Kann mit einer Untersuchung zweifelsfrei geklärt werden, ob es sich dabei wirklich um die Asche dieses Verstorbenen handelt?
Das kommt darauf an. Moderne Krematorien verbrennen einen Verstorbenen so gründlich, dass in der Regel selbst mit modernen molekulargenetischen Methoden eine Identifizierung nicht mehr möglich ist. Das haben wir in einer Studie selber einmal ausgetestet. Verbrennt man dagegen eine Leiche im eigenen Kamin oder auf einem Scheiterhaufen, sind die erreichten Temperaturen meist nicht ganz so hoch wie im Krematorium. Dann sind die Chancen, die Asche zuzuordnen, etwas aussichtsreicher. Darüber hinaus gibt es ggf. noch andere Hinweise auf die Identität des Toten, z. B. implantierte Prothesen, die nicht verbrennen.

Wie beurteilen Sie insgesamt den Tatort „Gott ist auch nur ein Mensch“ aus rechtsmedizinischer und forensischer Sicht?
Prof. Boerne als Alleskönner ist hin und wieder etwas ärgerlich. Und wir haben ja schon mehrfach angemerkt, dass er sicherlich nicht die DNA-Analysen selbst machen wird. Fast vom Sofa gefallen sind wir, als er – der selbst ernannte Perfektionist – mit dem Mund mithilfe einer Glaspipette eine Flüssigkeit aufnimmt, anstatt eine Pipettierhilfe zu benutzen. Das war das erste, was wir damals als Studenten gelernt haben: „Nie mit dem Mund pipettieren“. Ansonsten war der Tatort aus Münster unterhaltsam wie immer – hat Spaß gemacht!

Wiederholungen

Das Erste zeigt „Gott ist auch nur ein Mensch“ noch bis 17.12.2017 täglich von 20 bis 6 Uhr (Jugendschutz) in seiner Mediathek  http://mediathek.daserste.de oder via App auf dem Smartphone auch zu anderen Zeiten.

Der Tatort aus Münster

2002 ging das ungleiche Paar aus Rechtsmediziner Prof. Boerne und Hauptkommissar Thiel zum ersten Mal auf Verbrecherjagd. Seitdem gehören die Krimis, die in der westfälischen Universitätsstadt spielen, zu den beliebtesten und quotenträchtigsten der Reihe. Boerne, der geniale aber ziemlich eingebildete Professor, und der aufbrausend herzliche Thiel könnten kaum gegensätzlicher sein. Als Nebenfigur mischt Kommissar Thiels Alt-68er-Vater Herbert regelmäßig die Ermittlungen und seinen Sohn auf. Der freiberufliche Taxifahrer nimmt dabei gern auch die Verfolgung vermeintlicher Täter auf. Das starke Ensemble komplettieren drei Frauen. Silke Haller, Boernes engste Mitarbeiterin, weiß dessen Witze über sie als versteckte Anerkennung zu deuten. Die patente Nadeshda Krusenstern ergänzt Thiel als Assistentin. Und die kettenrauchende Staatsanwältin Wilhelmine Klemm legt Thiel mit Reibeisenstimme gern Knüppel in den Weg.