Aus Tempe wird Bones – eine Romanfigur geht in Serie

reichs_ktote_luegen_nicht_1_1006351997 schuf Kathy Reichs in ihrem Erstlingsroman „Tote lügen nicht“ mit der forensischen Anthropologin Dr. Temperance Brennan eine neue kriminalistische Ermittlerin. 2005 adaptierte der US-Sender Fox Tempe, wie die „Knochenleserin“ von ihren Freunden genannt wird. Die beiden Hauptfiguren teilen Namen und Beruf, doch der Serie „Bones“ gelang es einen ganz eigenen Charakter zu entwickeln. Nach bislang 11 Staffeln darf die TV-Tempe als mindestens genauso erfolgreich gelten wie ihr literarisches Vorbild.

Verbrannt, mumifiziert, verstümmelt, verfault oder skelettiert sind die Leichen, denen sich die forensische Anthropologin Dr. Temperance Brennan in ihrer täglichen Arbeit gegenübersieht: „Meine Aufgabe ist es, die Identität zu rekonstruieren, die der Tod ausgelöscht hat“. Ihre literarische Schöpferin Kathy Reichs weiß, wovon sie ihre Heldin sprechen lässt. Reichs gehört als forensische Anthropologin selbst zu den ausgewiesenen Expertinnen. In Guatemala half sie namenlose Bürgerkriegsopfer zu identifizieren, für die Vereinten Nationen untersuchte sie Gräber von Toten des Genozids in Ruanda und am Ground Zero in New York barg sie als Teil eines Katastrophen-Einsatzteams Leichenteile nach den 9/11-Attentaten.

Ihre Erlebnisse und forensisch-anthropologischen Fachkenntnisse verarbeitete Reichs erstmals literarisch im 1997 veröffentlichten Krimi „Tote lügen nicht“. Die Reihe umfasst inzwischen 18 Romane und ihre Hauptfigur Temperance „Tempe“ Brennan fehlt in keinem gut sortierten Bücherregal mit medizinischen Krimis. Da die Autorin konsequent in der Ich-Form schreibt, vermuten viele Leser und Kritiker, hinter Brennan das Alter Ego von Reichs. Was nur zum Teil der Wahrheit entspricht.

Nur ein beruflich-literarisches Alter-Ego

2008 bestätigte Reichs in einem Interview, professionell seien die Parallelen zwischen ihr und Tempe nicht von der Hand zu weisen. Allerdings unterscheide sich beider Privatleben deutlich. Da sei die Figur ganz literarische Erfindung mit einer Auf-und-Ab-Beziehung zum Ex-Mann, einer erwachsenen Tochter und Alkoholproblemen: „Das ist alles Tempe. Definitiv alles ihrs.“ Das eigene Privatleben schirmt die Schöpferin akribisch ab. Man weiß nur, dass sie seit mehr als 40 Jahren verheiratet ist und das Paar drei Kinder hat.

Das hohe Arbeitsethos und das ungeteilte Engagement für die Opfer und ihre Angehörigen teilt Reichs sicher mit ihrer literarischen Figur: „Für viele Hinterbliebene ist es wichtig zu wissen, wie, wo und warum so etwas passiert ist, egal ob Mord, Unfall oder Suizid.“ Wie Tempe pendelt sie zwischen Charlotte, North Carolina, und Montreal, Kanada. Hier wie dort arbeiten beide an den gerichtsmedizinischen Instituten und dozieren an der Universität von North Carolina Anthropologie. Für die Gerichtsmedizin oder im Ausland identifizieren sie Leichen und ermitteln die genaue Todesursache anhand der Knochen. Brennan greift dabei natürlich krimi-tauglich in die eigentlichen Ermittlungen ein.

Keine Romane für zarte Gemüter

Starkes Gewicht legen die Reichs-Romane auf die ausführliche und detailreiche Schilderung von Leichenfunden, Knochensplittern, DNA-Analysen und weiteren wissenschaftlichen Methoden. Sicher nichts für schwache Nerven und nervöse Mägen. Prof. Dr. Katharina Tiemann vom MVZ Hanse Histologikum kann der wissenschaftlichen Seite der Romane viel abgewinnen: „Für uns Fachleute ist es ein großes Plus, dass Reichs selbst vom Fach ist. Die wissenschaftlichen Fakten beschreibt sie sehr akkurat. Die ermittelnden Tätigkeiten von Brennan sind hingegen eher dem Genre geschuldet.“

Brennan ist ein Workaholic. Wenn Sie Knochen untersucht, wird der Morgenkaffee kalt, der Mittagssalat verwelkt. Gleich der erste Fall fordert ihr auch emotional einiges ab. Bereits während der Entdeckung einer jungen noch wenig verwesten Frauenleiche beschleichen sie eigenartige Gefühle. Die bestätigen sich bald, ist sie doch einem Serienmörder auf der Spur, der ihr schon einmal entwischt ist. Atmosphärisch sind die Romane dicht gebaut. Kritiker bemängeln aber, dass Brennan häufig der Zufall zu Hilfe kommt. Ihrer Protagonistin stellte Reichs eine ganze Reihe von Nebenfiguren an die Seite. Tochter Katy, die flippige jüngere Schwester Harry und Studienfreundin Gabby bilden die engsten Vertrauten. Gesetzeshüter gehören selten zu Brennans Lieblingskollegen, abgesehen zum jüngeren kanadischen Detective Andrew Ryan. Beider Liebesgeschichte durchläuft im Laufe der Jahre diverse Hochs und Tiefs.

Von der Buch-Tempe zur TV-Bones

Bei der 2005 gestarteten Serie wird aus Ryan der FBI-Agent Seeley Booth. Er verpasst Brennan den Spitznamen Bones, den sie anfangs ebenso hasst wie Booth sie mit seiner unwissenschaftlichen Art nervt. Scharfzüngig, von oben herab und eigensinnig pariert sie dessen Vorschläge bei Fällen. Schnell wird deutlich, wer das Gehirn jeder Untersuchung ist. Booth ermittelt mit Herz und Bauchgefühl und liegt damit gar nicht so oft falsch. Ein ungleiches Paar trifft da aufeinander. Der Ausgangspunkt für viele erfolgreiche Fernsehkonstellationen – gerade im Krimi-Genre. Die Anthropologin liest und interpretiert Beweise, der Cop Menschen. Dass mehr hinter dem freundlichen Geplänkel der beiden Hauptprotagonisten steckt, wird ab der ersten Folge deutlich. Aber es dauert einige Staffeln bis die beiden zueinander finden.

Wie wurde nun aus Tempe Brennan „Bones“ und wie unterscheiden sich die beiden Charaktere? Beide Fragen gehören zu den meist gestellten, bekennt Reichs auf ihrer Webseite. Showmacher Hanson Hart entdeckte während der Milleniumsjahre die Romane Reichs und sahen eine Dokumentation über die schreibende forensische Anthropologin. Beides inspirierte ihn, eine Serie rund um die Hauptfigur zu kreieren. Wobei er für die Serien-Brennan vor allem den Namen nutzte. Die Autorin selbst stand ihm für die Figur Patin. Wie Reichs schreibt Bones neben ihrer Arbeit Bestseller-Krimis. Kleine Ironie am Rande, ihre Hauptfigur übt – wie könnte es anders sein – den gleichen Beruf aus und heißt Dr. Kathy Reichs.

Deutliche Defizite in der Sozialkompetenz

Anders als ihre literarische Vorlage weist die brillante Bones deutliche Defizite in der Sozialkompetenz auf. Drei Doktortitel schützen sie nicht davor, sarkastische Bemerkungen misszuverstehen, Redewendungen ihres Gegenübers zu wörtlich zu nehmen und popkulturelle Andeutungen komplett zu überhören. Was häufig eine Quelle für den gegenüber den Büchern deutlich humorvolleren Ton der Serie ist. Unterschiedliche Lebensgeschichte, mangelnde Sozialkompetenz und das mit Anfang 30 jüngere Alter machen Bones zu einer eigenständigen Figur. Das Setting der Serie wechselt in die US-amerikanische Hauptstadt Washington. Dort arbeitet Bones als forensische Anthropologin für das Jeffersonian Institut, eine Hommage an das weltberühmte Smithsonian. Stärker als in den Büchern kommt in der TV-Adaption die Team-Arbeit zur Geltung.

Sowohl beim FBI wie beim Jeffersonian gibt es weitere Hauptcharaktere und wiederkehrende Nebenfiguren. Der Entymologe Jack Hodgkins – Käfermann in Booth-Terminologie – kennt sich mit Maden, Käfern und anderen Kadavertieren aus. Außerdem liebt er laute schräge Experimente. Sehr zum Leidwesen seiner Chefin Camille Saroyan, die ab Staffel 2 fest dabei ist. Die leitende Gerichtsmedizinerin seziert die Leichen, bevor Knochenleserin Bones übernimmt. Künstlerin und Technologie-Fachfrau Angela Montenegro, Bones beste Freundin, erstellt 3-D-Bilder der Opfer und animiert vermeintliche Tathergänge. Dazu kommen wechselnde Assistenten, eine bullige Staatsanwältin, ein hochbegabter FBI-Psychologe, Familienangehörige und verschiedene Serienkiller.

Das Ende der erfolgreichen Serie kommt

„Neben dem Humor und den tollen Schauspielern tragen auf jeden Fall die Set-Designer und Make-Up-Artisten einen großen Teil zum Erfolg der Serie bei“, urteilt Professorin Tiemann. Die Macher legen großen Wert auf möglichst realistische Leichenfunde. Da macht sich wohl auch bemerkbar, dass Reichs bis heute als wissenschaftliche Beraterin so manchen Arbeitstag am Set verbringt und zum Produzententeam der Serie gehört.

Für den produzierenden Sender Fox war Bones eine Erfolgsgeschichte. Keine Serie brachte es bislang auf mehr Staffeln. Doch spätestens 2017 werden die Fans sich verabschieden müssen. Mit Staffel 12 gönnen sich Bones, Booth und ihre Kollegen den TV-Ruhestand. Die deutschen Zuschauer müssen länger warten. Im Januar sendete man hierzulande erst das Finale von Staffel 10. Etwa zur gleichen Zeit erschien der 18. Band der literarischen Tempe „Die Sprache der Knochen“ auf deutsch. Ein Ende der Buchreihe ist bislang nicht in Sicht. Mit der Virals-Serie und einem männlichen Hauptdarsteller, Brennans Neffen Tory, bekam die Serie erst vor wenigen Jahren quasi ein Spin-Off, das sich an Jugendliche richtet. Die Thronfolge scheint also gesichert.

Weiterführender Link
» Offizielle Autorenseite von Kathy Reichs